Prozession am Aschermittwoch (Foto: Massimiliano Migliorato/Catholic Press Photo).

„Erflehen wir von Gott den Frieden, den Menschen allein nicht aufzubauen vermögen."

Predigt von Papst Franziskus am Aschermittwoch, verlesen von Kard. Pietro Parolin, Basilika Santa Sabina, Mittwoch, 2. März 2022

An diesem Tag, der die Fastenzeit eröffnet, sagt uns der Herr: » Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zu tun, um von ihnen gesehen zu werden; sonst habt ihr keinen Lohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten« (Mt 6,1). Es mag überraschen, aber das Wort, das im heutigen Evangelium am häufigsten vorkommt, ist Lohn (vgl. V. 1.2.5.16). Am Aschermittwoch richtet sich unsere Aufmerksamkeit für gewöhnlich auf den Einsatz, den der Weg des Glaubens erfordert, und nicht auf die Belohnung, zu der er führt. Doch heute kommt Jesus in seiner Predigt immer wieder auf diesen Begriff des Lohns zurück, der die Triebfeder für unser Handeln zu sein scheint. In der Tat gibt es in uns, in unseren Herzen, einen Durst, ein Verlangen nach dem Erreichen eines Lohns, der uns anzieht und uns zu dem antreibt, was wir tun.

Der Herr unterscheidet jedoch zwischen zwei Arten von Lohn, die ein Mensch in seinem Leben anstreben kann: zum einen den Lohn beim Vater und zum anderen den Lohn bei den Menschen. Der erste ist ewig, er ist der wahre, endgültige Lohn, er ist das Ziel des Lebens. Der zweite hingegen ist vergänglich, er ist ein Blendwerk, zu dem wir neigen, wenn die Bewunderung der Menschen und der weltliche Erfolg für uns das Wichtigste, die größte Befriedigung sind. Aber das ist eine Täuschung: Es ist wie ein Trugbild, das uns, wenn wir es erreicht haben, mit leeren Händen zurücklässt. Unruhe und Unzufriedenheit befinden sich für diejenigen, deren Horizont die Weltlichkeit ist, die verführt, aber dann enttäuscht, immer in unmittelbarer Nähe. Wer auf den Lohn der Welt schaut, findet keinen Frieden und kann den Frieden auch nicht fördern. Denn er verliert den Vater und die Geschwister aus den Augen. Es ist ein Risiko, das wir alle eingehen, und deshalb warnt uns Jesus: »Seid wachsam«. Es ist, als würde er sagen: „Ihr habt die Möglichkeit, in den Genuss eines unendlichen Lohns ohnegleichen zu gelangen: Hütet euch also davor, euch von Äußerlichkeiten blenden zu lassen und billigem Lohn nachzujagen, der in euren Händen zerrinnt“.

Der Ritus der Aschenauflegung auf unser Haupt soll uns der falschen Vorstellung entreißen, den Lohn bei den Menschen dem Lohn beim Vater voranzustellen. Dieses schroffe Zeichen, das uns zum Nachdenken über die Vergänglichkeit unseres menschlichen Daseins anregt, ist wie eine bittere, aber wirksame Medizin, um die Krankheit des Scheins heilen. Es handelt sich um eine geistige Krankheit, die den Menschen versklavt und ihn dazu bringt, von der Bewunderung anderer abhängig zu werden. Es ist eine regelrechte „Sklaverei der Augen und des Geistes“ (vgl. Eph 6,6; Kol 3,22), die dazu führt, unter dem Banner der Eitelkeit zu leben, so dass nicht die Reinheit des Herzens zählt, sondern die Bewunderung der Menschen; nicht der Blick Gottes auf uns, sondern der Blick der anderen auf uns. Und man kann kein gutes Leben führen, wenn man sich mit diesem Lohn zufriedengibt.

Das Unglück ist, dass diese Krankheit des Scheins selbst den heiligsten Bereichen nachstellt. Das ist es, worauf Jesus heute beharrt: Sogar Gebet, Nächstenliebe und Fasten können selbstbezogen sein. In jeder noch so schönen Geste kann sich der Wurm der Selbstgefälligkeit verbergen. Dann ist das Herz nicht völlig frei, denn es sucht nicht die Liebe zum Vater und zu den Geschwistern, sondern die menschliche Anerkennung, den Beifall der Menschen, den eigenen Ruhm. Und alles kann zu einer Art Vortäuschung gegenüber Gott, gegenüber sich selbst und gegenüber den anderen werden. Deshalb lädt uns das Wort Gottes ein, in uns selbst hineinzuschauen, um unsere Heucheleien zu erkennen. Diagnostizieren wir den Schein, nach dem wir trachten, und versuchen wir, ihn zu entlarven. Das wird uns guttun. ...

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