Don Luigi Giussani (Sergio Assandri/Archivio Fraternità CL)

Das Christentum als Ereignis heute

Zu seinem neunzehnten Todestag wird der vollständige Text des Vortrags von Luigi Giussani veröffentlicht, der vom Verein Charles Péguy und dem Kulturzentrum San Carlo organisiert wurde (Mailand, 28. Oktober 1992)
Davide Prosperi

Moderator. Don Giussani wird heute Abend zu uns über das Thema „Das Christentum als Ereignis heute“ sprechen. Darin steckt die Genialität, gemäß der die Erfahrung, die er in der Kirche und für die Kirche gemacht und gelebt hat, uns alle berührt hat. Anschließend wird es Raum für ein paar Fragen geben.

Luigi Giussani Mir scheint, dass die Bedeutung des Themas („Christentum als Ereignis heute“) objektiv der Tatsache geschuldet ist, dass das Wort Christentum heute eher mit einer Reihe moralischer Werte oder deren Verkündigung und mit der Sorge um moralische Werte identifiziert wird. Ich behaupte damit nicht, dass sich das Christentum nicht für moralische Werte interessiert, ich sage nur, dass das Christentum nicht mit der Verkündigung moralischer Werte zusammenfällt. Wenn wir den Gottesdienst am vergangenen Sonntag besucht haben, hat uns das schöne Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner (vgl. Lk 18,9-14) erneut verwundert. Es überrascht uns immer wieder, wenn es am Ende heißt, dass dem Zöllner vergeben wird, dass er den Tempel „gerechtfertigt“, in Frieden verließ, während der Pharisäer, der sich mit all den guten Taten gebrüstet hatte – und dabei nicht log, Christus sagt nicht: „Der Pharisäer erzählte Lügen“, ganz und gar nicht –, verurteilt herauskam. Wir müssen den eigentlichen Grund für diesen Widerspruch nicht sofort klären; es kann sein, dass er sich als Schlussfolgerung aus anderen Gedanken ergibt. Aber ich möchte sagen, dass für jemanden, der über das Christentum sprechen, über das Christentum nachdenken oder das Christentum leben soll, die Hauptsache genau in folgendem liegt: Er kann das, wofür er sich interessieren oder was er leben will, nicht auf moralische Werte zurückführen, die er durch seine eigene Willenskraft in die Tat umsetzen kann. Das Christentum ist ein Faktum, ein Ereignis, eine objektive Tatsache: Selbst wenn die ganze Welt nicht glauben würde, könnte sie es nicht mehr tilgen. Es gibt kein Argument, das standhält: „Contra factum non valet illatio“, angesichts einer Tatsache ist dies nutzlos, einer Tatsache kann man kein Argument entgegensetzen; die Kraft eines Arguments versagt hier. ....

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Luigi Giussani