Avila ©Mercedes Lavina

Ávila. Ein Leben, das in sich eins ist.

Mehr als zweihundert junge Menschen aus ganz Europa, die der Bewegung angehören, verbringen ein Wochenende zusammen in Spanien, um sich gemeinsam den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Einer von ihnen möchte seine Erfahrung mit uns teilen
Bernadette Groos

Am Wochenende vom 15. bis 17. November trafen wir uns in Ávila: zweihundert junge Berufstätige aus ganz Europa und einige, die auf ihrem Lebensweg schon weiter sind, besonders Francesco Cassese, Paolo Prosperi und Ettore Pezzuto. Mit ihnen zusammen wurde der Sieg Christi in unserem Leben wieder greifbar.

Von Anfang an spürten wir eine große Einheit unter uns, obwohl wir uns nicht kannten. Wir sind dankbar, dass wir in der Bewegung zusammengerufen wurden. Sie hat uns geholfen, in dieser wichtigen und kritischen Lebensphase, in der sich viele von uns befinden, zu einem Urteil zu kommen. Viele von uns stehen in ihrem Berufsleben vor großen Herausforderungen und stellen sich grundlegende Fragen über ihre Berufung und ihre Aufgabe in der Welt.

Die Freiheit und Vertrautheit, die wir erlebten, war für jeden von uns eine Provokation. Die Versammlungen wurden durch zahlreiche Beiträge bereichert, die aus der Natürlichkeit eines echten und spontanen Dialogs hervorgingen. Die wesentlichen Fragen, mit denen wir im Leben konfrontiert sind, kamen dabei zum Ausdruck. Wie kann ich mein Leben so führen, dass ich eins bin und nicht innerlich gespalten? Wie kann ich meinem Wunsch nach beruflicher Entwicklung und Erfolg nachkommen und gleichzeitig meinen Glauben wirklich leben? Wie kann ich der spießbürgerlichen Selbstzufriedenheit widerstehen, auch wenn sie eine Versuchung ist? Nach welchen Kriterien entscheide ich über meine berufliche Zukunft, wenn ich mehrere Möglichkeiten habe? Wie setze ich mein Geld sinnvoll ein? Am Arbeitsplatz herrschen Hektik und Konkurrenzdruck: Gibt es eine Hoffnung, dem nicht zu erliegen und nicht jeden Tag müde und erschöpft zur Arbeit zu kommen? Ist es Ausdruck einer spießbürgerlichen Selbstzufriedenheit, mehr Zeit mit der Familie verbringen zu wollen, Spaziergänge in der Natur zu machen und Zeit zum Kochen zu haben? Das sind nur einige der Fragen, die uns an diesem Wochenende beschäftigt haben.

Auch bei den gemeinsamen Mahlzeiten diskutierten wir über das, was in den Versammlungen zur Sprache gekommen war. So wurde mir persönlich Schritt für Schritt klar, dass der wichtigste Kampf auf der Ebene des Bewusstseins stattfindet. „Dieselbe Geste, dieselbe Handlung kann dazu dienen, das Leben zu zerstören oder es zum Blühen zu bringen“, sagte uns Francesco Cassese, auch bekannt als Camu. Wovon hängt das ab? Von unserem Selbst-Bewusstsein. „Die spießige Bürgerlichkeit", sagt Don Paolo, „besteht darin, dass ich im Grunde nur für mich selbst lebe; dass ich, wenn auch unbewusst, nur meine eigene Bequemlichkeit suche, das Gefühl, ein netter Kerl zu sein, ein guter Kerl, der Gutes und Richtiges tut, der aber im Grunde nicht aus dem Schwung der Liebe lebt, der aus der Begegnung mit Christus kommt. Das neue und freie Subjekt - frei von Materialismus, Nihilismus, Skepsis, Hoffnungslosigkeit, Opferhaltung etc. - ist derjenige, für den die tiefe Haltung des Bettelns eine normale und alltägliche Dimension des Lebens ist (wie die Gestalt des Armen im Geiste, die P. Giovanni Paccosi in den letzten Exerzitien der Fraternität auf wertvolle und eindrucksvolle Weise hervorgehoben hat). Wer ein „neues Subjekt“ geworden ist, versteht, dass es einen qualitativen Sprung gibt, weil man aus ihm heraus lebt und weil dieser Unterschied zur eigenen Erfahrung geworden ist. Es ist etwas ganz anderes, ob ich versuche, aus eigener Kraft zu lieben, oder ob die Quelle, die meiner Liebe Kraft gibt, darin besteht, dass ich mich vom Vater geliebt weiß, ja, dass ich mir von ihm die Füße waschen lasse.

Versammlung in Avila ©Mercedes Lavina

Ein weiteres Thema, das uns begleitete, war die Betrachtung Don Paolos über das Gleichnis von den Talenten (wie schön, wenn sich unsere Treffen im Wesentlichen um das Evangelium drehen! Szenen wie die der Witwe im Tempel oder der Fußwaschung wurden in diesen Tagen immer wieder aufgegriffen). Es ist der Herr, der Güter und Talente gibt, jedem nach seinen Fähigkeiten. Denen, die ihre Talente ins Spiel bringen, andere daran teilhaben lassen und sie im Leben einsetzen, verspricht der Herr, dass er ihnen für ihre Treue im Kleinen Großes schenken wird. Er lädt sie ein, an seiner Freude teilzuhaben. Am Leben des Herrn teilzuhaben, ist die größte Freude. Der Herr tadelt die, die ihre Talente aufbewahren, sie in der Erde vergraben und sich von der Angst hinreißen lassen, denn ihnen wird alles genommen werden.

Ich bin zutiefst dankbar, dass uns viele methodische Hinweise in Erinnerung gerufen wurden. Arm sein bedeutet nicht, „wenig zu haben“, sondern alles in den Dienst dessen zu stellen, der die Liebe unseres Lebens ist, nämlich Christus. Es ist erlaubt, ohne Angst nach Erfolg in der Arbeit zu streben. Man soll sich nicht schuldig fühlen, wenn man Freude an der Arbeit hat. Was ist Arbeit? Don Giussani definiert die Arbeit unter anderem so: Arbeit bedeutet, die Wirklichkeit nach einem Ideal umzugestalten. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns immer wieder die Frage stellen: Was bewegt mich? Was ist der Ursprung jeder meiner Handlungen? Wenn Christus ganz und gar mein Beweggrund ist, dann werde ich mit und in Christus leben, weil ich aus dem Gedächtnis seiner Gegenwart lebe. Dieser Weg der Selbsterkenntnis kann aber nur in der Gemeinschaft, in der Weggemeinschaft gegangen werden. Nur wenn wir uns vorbehaltlos auf die Weggemeinschaft einlassen, die Christus jedem von uns (der Frau, der Fraternität, den Freunden, der ganzen Bewegung) anbietet, können wir wirklich Befreiung erfahren. Gemeinschaft und Befreiung. In diesem Sinne war der Aufruf zu Beginn des Treffens, offen miteinander umzugehen, sich aufeinander einzulassen, miteinander ins Gespräch zu kommen und alles vorbehaltlos miteinander zu teilen, von grundlegender Bedeutung.

Ich bin sicher, dass die Fragen, die an diesem Wochenende aufgeworfen wurden, von grundlegender Bedeutung sind. Wir alle sind aufgerufen, an ihnen zu arbeiten und uns jeden Tag mit ihnen auseinanderzusetzen. Deshalb bekräftigen wir unsere Einheit und unsere Gemeinschaft. Wir bekräftigen, was uns eint. Bejahen wir den Weg, die Wahrheit und das Leben! Lasst uns den Weg bejahen, den wir gemeinsam gehen, und lasst uns dankbar sein für die Auseinandersetzung, den Austausch und den Dialog. Nur so können wir verstehen, dass auch die Unterschiede zwischen uns, auch die Tatsache, dass wir die Dinge unterschiedlich beurteilen, ein Umstand ist, der zu unserem Berufs- und Berufungsweg gehört, ein bereichernder Faktor, der für eine echte Glaubenserfahrung unerlässlich ist. Danken wir Gott für all das.