Margarethe von Trotta

„MIR GEHT ES UM EIN DENKEN, NICHT UM THEORIEN“

Interview mit Margarehte von Trotta. „Ein Film bietet sich mir an. Er kommt auf mich zu. Und ich ahne, dass er einen Sinn für mich hat.“
Monica Scholz

Margarethe von Trotta erzählt von ihrem Werdegang und von ihrer Beschäftigung mit Hannah Arendt. „Sie wollte verstehen und lehrt uns, unseren Kopf einzusetzen.“

„Sie war bereit, der Realität ins Gesicht zu sehen.“ Dieser Mut hat sie fasziniert, und sie beneidet ihn. Margarethe von Trotta, Jahrgang 1942, eine der größten europäischen Regisseure, hat diesen Mut bei Hannah Arendt gesehen und die Spur weiterverfolgt. Schließlich wurde ein Film daraus, der 2012 in die Kinos kam. Hannah Arendt erzählt von den vier Monaten des Eichmann-Prozesses, den 114 Verhandlungstagen, die die jüdische Philosophin im Auftrag des New Yorker in Jerusalem verfolgt hat. So dass sie schließlich sagte: „Das widerspricht all unseren Theorien über das Böse.“ Sie meinte damit insbesondere die Idee des „radikalen Bösen“, die sie selbst in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft entwickelt hatte, später aber revidiert hat. „Nur das Gute ist radikal“, schreibt sie 1963.

Margarete von Trottas Film ist ein Porträt des Denkens von Hannah Arendt, ein Denken, das sich weigert, Theorie zu werden. „Es war nie ritualisiert.“ Und es ähnelt sehr dem, was in ihrer eigenen Arbeitsweise zum Ausdruck kommt. „Wenn ich einen Film drehe, gehe ich nicht von einer Botschaft aus und suche dann eine Figur dazu“, hat sie einmal gesagt. „Ein Film bietet sich mir an, ein Film kommt auf mich zu und ich ahne, dass er einen Sinn für mich hat.“

Was hat Sie an dem Vorschlag gereizt, einen Film über Hannah Arendt zu drehen? Wie hat dieses Abenteuer begonnen?
Ich war schon auf Hannah Arendt gestoßen, als ich die Rosenstraße drehte. Ich hatte mich eingehend mit jüdischer Kultur und der Geschichte des Nationalsozialismus in unserem Land beschäftigt. Dabei hatte ich ihr Buch über Eichmann und den Prozess in Jerusalem entdeckt. Mir war sofort aufgefallen, wie unabhängig sie in ihrem Urteil ist. Das hat mir sehr gefallen. So wie mir auch Rosa Luxemburg gefallen hatte, auch sie war stets unabhängig in ihrem Denken. Ich mag Frauen, die ihren Kopf zum Denken benutzen. Aber ich hatte sicher nicht daran gedacht, einen Film über eine Philosophin zu drehen. Das ist mir nie in den Sinn gekommen. Es war ein Freund, der mir nach der Rosenstraße sagte: „Weißt du eigentlich, dass du wirklich perfekt dafür wärst, einen Film über Hannah Arendt zu drehen?“ Ich antwortete ihm: „Da irrst du dich, das geht nicht. Sag mir mal, wie man in einem Film eine Theorie oder Gedanken darstellen soll, eine Frau, die nachdenkt. Man kann doch nicht einen Menschen zeigen, der immerzu am Schreibtisch sitzt, und den Zuschauer ihm beim Denken zusehen lassen. Nein, das ist nichts für mich.“ Aber nach und nach, da mir das Buch ja gefallen hatte, habe ich dann den Mut gefunden, mich auf diesen Weg zu machen, ohne zu wissen, ob ich noch irgendwo einen Ausweg finden würde.

Szene aus dem Film „Hannah Arendt“

Und was ist dann geschehen?
Ich habe mit der Autorin gesprochen, die mit mir das Drehbuch zur Rosenstraße geschrieben hatte, Pamela Katz. Sie hatte ich damals gewählt, weil ich dachte, sie wüsste alles über jüdische Riten und Traditionen. (Dann haben wir allerdings festgestellt, dass ich schon viel mehr darüber wusste als sie, da ich viel gelesen hatte. Pam sagte sogar den Leuten immer, sie sollten „zu Margarethe gehen“, wenn sie wirklich etwas über die Juden erfahren wollten.) Sie war sofort von der Idee begeistert, mit mir zusammenzuarbeiten, und da sie in New York lebte, konnte sie auch über Hannah Arendt recherchieren. Das war der Hintergrund. Ich fühlte mich eineinhalb Jahre lang wie in einem Sandwich, einquetscht zwischen zwei Menschen, die mich drängten, ich müsse diesen Film unbedingt machen. Wir haben dann angefangen zu lesen, das dauerte Jahre, wir haben fast alles gelesen. Ich habe Hannah Arendts letzten Assistenten aufgesucht und Leute, der mir etwas über sie erzählen konnten. Dann habe ich den gesamten damals verfügbaren Briefwechsel gelesen. In Deutschland war der mit Heidegger erschienen, und der mit Jaspers, der vielleicht der wichtigste ist. Dann die mit Mary McCarthy, mit Kurt Blumenfeld, mit Bloch. Und den mit ihrem Mann, Heinrich Blücher. So habe ich mit der Zeit gespürt und verstanden, was für eine Persönlichkeit sie war.

Was haben Sie dabei entdeckt?
Zu Anfang schien sie mir sehr arrogant. Ich hatte mir das berühmte Interview angehört, das sie Günter Gauss gegeben hat. Ich hatte es allerdings nur auf CD gehört und dachte: Nein, diese Frau gefällt mir nicht, sie ist zu arrogant. Ich kann das nicht, ich kann mit ihr nicht in Kontakt treten. Dann habe ich es noch einmal im Fernsehen gesehen und gemerkt, dass sie eine Frau mit viel Charme war. Sie schien mir gleich ein ganz anderer Mensch zu sein. Viele Männer hatten sich ja in sie verliebt, auch als sie nicht mehr so schön war, wie als junge Frau. Demnach musste sie auch etwas Attraktives haben, nicht nur ihren Kopf. So habe ich mich ihr dann allmählich genähert, auch indem ich mir Gedanken machte über die Phase, den Moment in ihrem Leben, auf den ich mich konzentrieren könnte. Denn es war klar, dass wir ihr Leben nicht von Anfang bis Ende erzählen konnten. Das wäre zu viel gewesen, mit zu vielen Sprüngen, ein rasanter Marathon, und wir hätten keinen Punkt vertiefen können. Sie ist eine Philosophin, sie ist ein Mensch, der nachdenkt; irgendwie mussten wir auf ihr Denken abheben. Erst am Schluss sind wir zu dieser Lösung gelangt mit den vier Monaten des Eichmann-Prozesses. Und da, als wir uns entschlossen haben, uns nur auf das zu konzentrieren, habe ich mich sicher gefühlt. Da war ich bereit, diese schwierige Arbeit anzupacken.

Und Sie haben dabei den originellsten Punkt getroffen, jedenfalls für uns, die wir den Film gesehen haben, indem sie das Thema der „Banalität des Bösen“ gewählt haben. Dieser Begriff hat etwas Überwältigendes. Wir tun uns schwer, ihn zu verstehen, weil „Banalität des Bösen“ Verantwortung bedeutet, Urteilsvermögen, unterscheiden zu können zwischen gut und böse, das ist eine schwierige Aufgabe.
Eichmann war in der Tat nicht dazu imstande. Hannah Arendt sagt, Eichmann sei nicht dumm gewesen, aber er habe nicht nachgedacht, nicht gesehen, nicht unterscheiden können zwischen dem Bösen und dem Guten.

Sie haben einmal von einer sehr interessanten Unterscheidung gesprochen. Sie sagten, das einzige Mittel gegen die Gleichschaltung auf der Welt sei das Denken. Sie fügten hinzu: Es gibt drei Typen von Menschen. Solche wie Eichmann, ein mittelmäßiger  Mensch, der nicht denkt, aber ausführt. Dann ein Heidegger, der denkt, aber trotzdem der Ideologie verfällt. Und schließlich eine Hannah Arendt, die denkt und frei bleibt ...
Sie denkt, und das sagt sie auch in ihrem Vortrag am Ende, weil der Mensch sich durch das Denken schützen kann, um nicht in die Falle zu geraten.

Und jetzt, nachdem Sie sie etwas näher kennengelernt haben, die Sensibilität einer Hannah Arendt gespürt haben, die Augustinus studiert hatte und die Bedeutung der Einheit von Leib und Geist im Erkennen, wie würden Sie ihr Denken beschreiben?
Ihr Denken gründete nie auf einer Theorie. Daher war es nie ritualisiert und blieb nie bei dem stehen, was sie am Tag zuvor gesagt hatte. Sie sah die Welt immer wieder mit neuen Augen und aus dem Augenblick heraus. Das war der Unterschied zwischen ihr und Heidegger.

Wenn ich einmal drei Frauen aus ihren Filmen herausgreife, Rosa Luxemburg, Hildegard von Bingen und Hannah Arendt, dann sehe ich da einen Weg von der Ideologie zum Ich. War das vielleicht auch Ihr persönlicher Weg?
Ich war nie wirklich eine Ideologin. Im Grunde war Rosa Luxemburg das auch nicht. Von außen betrachtet war sie die starke und grausame Revolutionärin, man nannte sie auch „bloody Rosa“. Aber wenn man sie aus der Nähe sieht, dann erkennt man (wie auch bei Hannah Arendt), dass sie ein hochsensibles Wesen war, sehr naturverbunden und friedliebend. Dass sie, die den Frieden liebte, eine Revolutionärin sein wollte, war in gewisser Weise ein Widerspruch. Aber derartige Widersprüche ziehen mich an. Wenn man die Briefe von Rosa Luxemburg liest, merkt man, wie menschlich sie war, sie interessierte sich für andere, sprach ihren Freunden Mut zu. Sie schrieb in einem sehr warmen Ton, viel wärmer als Hannah Arendt. In der Tat, Rosa Luxemburg stammte aus dem Osten, Hannah Arendt dagegen war zu tiefst Aschkenasin, eine deutsche Jüdin, die aus einer gebildeten Familie kam. Natürlich, als ich den Film über Rosa Luxemburg gedreht habe, gehörte ich noch zur Linken und hatte mich noch nicht mit Hannah Arendt beschäftigt; bei uns Linken war sie nicht besonders gut angesehen. Sie hatte Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft geschrieben, in dem sie den Kommunismus mit dem Nationalsozialismus verglich. Für uns war der Nationalsozialismus ein totalitäres Regime, während der Kommunismus noch unantastbar war.



Und wie hat sich dann Ihr Denken, Ihr Blick auf die Wirklichkeit verändert?
Ich war radikal links. Es ist nicht so, dass ich die Dinge heute völlig anders sehe, aber damals waren wir wie die 68er, die wenig über die Vergangenheit wussten. Ich habe eingesehen, dass dieser Weg falsch war, und das sieht man in dem Film, den ich über die RAF gedreht habe. In gewisser Weise haben Sie Recht. Es ist nicht mehr ein ideologisches Denken, sondern ein menschliches Denken. Hannah Arendt ist eine echte Humanistin, sie ist bereit der Wirklichkeit ins Gesicht zu schauen.

Sie sagten, Sie hätten selber gerne diesen Blick auf die Wirklichkeit.
Ja, sie hatte einen Blick auf die Vergangenheit und auf die Zukunft, der viel klarer war als meiner.

Ich möchte gerne noch einmal auf diese drei Frauen zurückkommen, Rosa Luxemburg, Hildegard von Bingen und Hannah Arendt. Drei faszinierende Frauen mit vielen Gegensätzen, Frauen voller Energie und Zerbrechlichkeit. Was fasziniert Sie an denen, auch im Hinblick auf ihr „Frausein“?
Es ist nicht nur ihr „Frausein“, sondern die Tatsache, dass sie komplex sind, in gewissem Sinn widersprüchlich. Mich interessieren in der Tat die Kontraste und die Widersprüche. Denn auch in meinem Leben, oder in meinem Charakter, oder in meiner Seele, fühle ich mich oft „zweigeteilt“. Zwei Extreme, von denen mir scheint, dass ich sie nicht vereinen kann. Daher habe ich in meinen ersten Filmen immer mehrere Frauen eingesetzt. Ich habe einen Film über drei Schwestern gedreht, die im Grunde eine Person waren. Aber ich musste drei Rollen nehmen, um all diese Charakterzüge einer einzigen Person darstellen zu können.

Der Film Hannah Arendt endet mit dem großartigen Satz: „Nur das Gute ist radikal“.
Das ist der Weg, den sie zurückgelegt hat, indem sie Eichmann beobachtete. In ihrem Buch über den Totalitarismus spricht sie von dem radikalen Bösen, und auch in dem Film spricht sie an einer Stelle davon. Es ist ein mutiger Gedanke, dass wir ohne die Grausamkeit, ohne die Erfahrung des Totalitarismus nicht die Möglichkeit gehabt hätten, das radikal Böse zu sehen und kennenzulernen. Sie scheint beinahe zufrieden, dass sie diese Gelegenheit hatte, um zu verstehen, was das Böse ist. Erst nachdem sie Eichmann beobachtet hatte, schrieb sie das Buch über diese Form des Bösen oder des Nicht-Bösen; da hatte sie verstanden, dass das Böse nicht radikal sein kann, sondern nur das Gute. Das schreibt sie auch in einem Brief an Gershom Scholem, der sie beschuldigt hatte, sie liebe ihr Volk nicht. Das wurde meiner Meinung nach für sie der Weg zu einer Erkenntnis. Bis zum Ende ihres Lebens hat sie sich mit der Idee des Bösen beschäftigt und versucht, es zu verstehen.

Der Film war sehr erfolgreich. Was glauben Sie, ist der Grund dafür?
Ich glaube, dass wir in einer Zeit leben, wo wir den Eindruck haben, nicht mehr wirklich mit unserem Kopf denken zu können. Wir sind alle so von der Krise bestimmt, der Mode, der Politik, der Werbung und dem Fernsehen. Wir haben keinen Freiraum mehr, um uns zu sagen, wer wir sind und was wir geschenkt bekommen haben. In Hannah Arendt haben die Leute, die den Film gesehen haben, eine Person gefunden, die verstehen wollte. Vielleicht haben sie nun den Wunsch, ihren eigenen Kopf mehr einzusetzen. Für mich ist Denken ein Geschenk der Natur, das wir einsetzen müssen, und das verstehen die Leute. Sie möchten etwas verändern, aber sie wissen noch nicht, wie und wo. Die Normen der Religion existieren nicht mehr, aber vielleicht würde sich Gott freuen, wenn wir das Geschenk einsetzen würden, das er uns gemacht hat.