GUARESCHI: „Ich habe das Wahre erfunden“
Er schuf Figuren, die am Rande der Gesellschaft stehen und doch Prototypen des Menschlichen sind: Giovannino Guareschi, der „Vater“ von Don Camillo und Peppone. Sie haben die merkwürdigsten Eigenarten, aber sie sind auch besonders liebenswert. Und die Bewohner dieser „kleinen Welt“ zeigen uns, wie umfassend das Bewusstsein des Menschen ist.
Randgebiete der Existenz? Es gibt jemanden, der die schon vor 70 Jahren ins Zentrum gestellt hat: Giovannino Guareschi, der „Vater“ von Don Camillo und Peppone. Nicht umsonst tragen seine Geschichten über den kauzigen Pfarrer und den kommunistischen Bürgermeister im Italienischen den Übertitel Mondo piccolo – kleine Welt. Sie haben ihn übrigens zu einem der meist verkauften (über 20 Millionen Exemplare) und zum meist übersetzten Schriftsteller Italiens gemacht. Die Schwarz-Weiß-Filme mit Fernandel und Gino Cervi in den Hauptrollen haben seine Figuren in der ganzen Welt berühmt gemacht.
Paolo Gulisano, ein Guareschi-Experte, meint, im „Mikrokosmos seiner ‚kleinen Welt‘ spiegeln sich die tiefsten gesellschaftlichen und politischen Dramen unseres Jahrhunderts ebenso wie die zeitlosen Wechselfälle des menschlichen Lebens: Liebe, Freundschaft, Treue, Verrat, Wut, die Beziehung zwischen den Generationen und der Tod“.
In dem kleinen Dorf in der Po-Ebene, in dem die Geschichten spielen, beispielhaft für viele Dörfer im Italien der Nachkriegszeit, gibt es nicht nur den „entschlossenen“ Pfarrer Don Camillo, der mit dem Christus über seinem Hochaltar spricht, und den kommunistischen Bürgermeister Peppone, dem er in herzlicher Hassliebe zugetan ist. Da gibt es auch Smilzo (den Mageren), Brusco (den Schroffen) und all die anderen Genossen von Peppone, dann die Lehrerin Fräulein Giuseppina, den alten Doktor, der nicht sterben will, den Sohn eines Krämers, aus dem ein berühmter Tenor wird, die Witwe mit den 10 Kindern, arme Pächter, die ein elendes Stückchen Land in einen fruchtbaren Acker verwandeln, eine junge Frau, die zurückkehrt, um die Hecke zu suchen, unter der sie als Kind gespielt hat, die Tochter aus bürgerlichem Hause, die beim Fest der kommunistischen Unità die Miss-Wahl gewinnt, und viele, viele mehr.
Guareschi schreibt, wie Caravaggio malt: Jeder Hell-Dunkel-Kontrast, jedes Schwarz und jedes Weiß, jedes Detail sagt etwas über seine Charaktere, in denen sich die meisten Leser wiederfinden können. Jede scheinbare Eigenart seiner Figuren macht die Größe des Bewusstseins eines Ichs deutlich, besonders wenn es sich bei diesem Ich um eine scheinbare Randfigur handelt. Und er wendet sich immer gegen jegliche Form von Ideologie. Wie im Kapitel „Der Kommissar“, in der der Protagonist im Namen der Partei den Genossen Stràziami daran hindert, seine Familie zu ernähren. Er zweifelt ebenso wenig wie der Genosse Gigio, der Hinkende (aus der Folge „Die Technik des Staatsstreichs“), der alle Oppositionellen eliminieren will, an der Moralität seines Handelns; schließlich hat man es ihnen so beigebracht.
Doch die Ideologie spielt nicht nur im politischen Bereich eine Rolle. Sie bildet auch die theoretische Rechtfertigung für die Habgier, wie man in „Diegos Anteil“ sehen kann, in dem die Figuren zu vergessen scheinen, dass es ein höheres Gut gibt als Materielles. Und auch so friedliebende Menschen wie Camillo und Peppone können gewalttätig werden, wenn es darum geht, ihre eigenen Ideen durchzusetzten.
Die beiden Feinde. Literarische Phantasie? Nicht unbedingt. Viele der Geschichten aus der „kleinen Welt“ basieren auf tatsächlichen Ereignissen, wie man durch die interessanten Anmerkungen von Alberto und Carlotta Guareschi erfährt. Und Egidio Bandini, der das Archiv des Schriftstellers verwaltet, stellt fest: „Jeder, der in den Geschichten Guareschis vorkommt, ist irgendwie in seinem Erfinder enthalten. Wie jeder aufmerksame Konstrukteur hat dieser einfach das Wahre erfunden, um nichts falsch zu machen.“
Wovon also soll man ausgehen? Guareschi selbst zeigt es uns. Die „beiden Feinde“ sind sich nämlich am Ende einig über die wesentlichen Dinge des Lebens. Peppone und die anderen Parteigenossen teilen unabhängig voneinander Don Camillo mit, dass der Hinkende ihn umbringen will. Und Peppone selber bringt schließlich Stràziami das Care-Paket, um ihn dafür zu entschädigen, dass ihm das erste aufgrund der „Vorschriften der Partei“ vorenthalten wurde. Im Kapitel „San Giuseppe“, in dem er nach Mailand versetzt wird, weist Peppone sogar eine Gruppe der Volksfront heftig zurecht, als er deren ideologische Arroganz erkennt. Don Camillo seinerseits weicht in „Die Sonne geht noch auf“ von der Regel ab, all diejenigen zu exkommunizieren, die nicht Democrazia Cristiana wählen, und erteilt der alten Bacchini die Absolution, die vorhat, die Kommunisten zu wählen, weil sie die Hoffnung auf die Rückkehr ihres in Russland vermissten Sohnes nicht aufgeben will.
So lassen viele der Figuren aus der „kleinen Welt“ in der Realität immer wieder die Ideologie beiseite und folgen der Stimme ihres Gewissens. Das Bewusstsein der Personen, die diese Geschichten beleben, wird wie bei jedem Menschen angetrieben durch die Sehnsucht nach Wahrheit, Güte, Schönheit und Gerechtigkeit, die keine Ideologie erfüllen kann. Auch der Wirt, der während des Krieges von einem englischen Kommandeur gequält wurde, rächt sich bei diesem Feind, als er ihm Jahre später wieder begegnet, nicht mit derselben Gewalt, sondern gibt ihm nur ein Abführmittel (im Kapitel „Hochzeitsreise“). Im „Provinzgefängnis“ (wo Guareschi für seine Gewissensfreiheit gegenüber der Macht bezahlen musste) nehmen sich die Gefangenen das Schicksal eines Hundes zu Herzen, da „auf diesem Fleckchen Erde auch Hunde eine Seele haben“. Das Gewissen ist nicht willkürlich, sondern ein Widerhall jenes Geheimnisses, das sich wieder des Grundstücks bemächtigt, das die gierigen Brüder ihrem verstorbenen Verwandten wegnehmen wollten (in „Diegos Anteil“).
Indem sie schlicht ihre Bedürfnisse und Sehnsüchte leben, machen sie deutlich, was der wahre Mittelpunkt des Lebens ist.
Das Dreieck. Die Figuren, die die „kleine Welt“ bewohnen, sind scheinbare Randfiguren. Aber indem sie schlicht ihre Bedürfnisse und Sehnsüchte leben, machen sie deutlich, was der wahre Mittelpunkt des Lebens ist. Sie zeigen ihr unverfälschtes Ich. Und alles trägt zu dessen Entdeckung bei: Die Erde, die Pflanzen, die Häuser und der Fluss gehören zu diesen Menschen, als wären sie ihre belebte und lebendige Peripherie. Die Landschaft, gestaltet durch die Natur und die Arbeit, lebt von dieser geheimnisvollen „Normalität“, in der die Toten mit den Lebenden kommunizieren, Engel auf einem Damm stehen und Tiere mit den Menschen sprechen (wie der Hund Ful oder die Pferde Menelik und la Bionda), „die in ihrem Wesen manchmal weniger tierisch sind als viele Menschen“. Das Herz dieser Welt als der „Wohnstatt des Menschen“ sind die ganz normalen, einfachen Leute. Jeder hat seinen Wert, keiner gleicht dem anderen, wie Guareschi in einem Brief betont: „Letztlich ist es das Ziel dieser Geschichten, das Individuum aus der uneinsichtigen und anonymen Masse herauszuschälen.“
Die „kleine Welt“ hat ihr Zentrum, vielleicht eher ein Dreieck, in Peppone, Don Camillo und Christus. „Hier muss ich etwas erklären“, schreibt Guareschi. „Wenn sich Priester durch die Figur des Don Camillo beleidigt fühlen, dann können sie mir gerne eine Keule über den Kopf zu ziehen. Wenn sich Kommunisten wegen Peppone angegriffen fühlen, dann haben sie das Recht, mir mit einem Stock auf den Rücken zu schlagen. Aber wenn sich jemand über das empört, was Christus sagt, dann kann er nichts machen. Denn in meinen Geschichten spricht nicht der Christus, sondern mein Christus, das heißt die Stimme meines Gewissens. Das sind meine persönlichen und innersten Angelegenheiten.“
Guareschi war seiner Zeit voraus und stellte tatsächlich die persönliche Erfahrung ins Zentrum seiner kleinen Welt. Den von Gewissheit getragenen, aber auch demütigen Dialog zwischen Don Camillos Herz und der Gegenwart Gottes, der aus der Tiefe der Wirklichkeit zum Menschen spricht, der ihn korrigiert, ohne je Zwang auszuüben, der seine Freiheit herausfordert, ihn auffordert, nicht parteiisch zu sein, sondern auch die Aspekte zu beachten, die ein ideologischer Blick oft übersieht.
Es stimmt nicht, dass in dieser kleinen Welt „Dinge passieren, die nirgendwo sonst passieren“, wie es in einer der ersten Geschichten heißt. Aber meistens beachten wir diese Dinge nicht, in der „großen Welt“, in der wir leben nicht.
Giovannino Guareschi wurde am 1. Mai 1908 in Fontanelle di Roccabianca bei Parma geboren als Sohn von Lina und Primo Augusto Guareschi. Die Mutter war Grundschullehrerin, der Vater handelte mit Fahrrädern, Nähmaschinen und Landmaschinen. 1925 meldete er Konkurs an, und Giovannino sah sich gezwungen, als Journalist Geld dazu zu verdienen.
„Um frei bleiben zu können, muss man auch ohne zu zögern ins Gefängnis gehen“
Ab 1936 arbeitete er in Mailand für die Satire-Zeitschrift Bertoldo, ohne sich um die Reaktionen des faschistischen Regimes zu kümmern. 1943 wurde er zunächst zwangsweise zum Militär eingezogen und geriet dann in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nach zwei Jahren in verschiedenen Lagern in Polen und Deutschland kehrte er nach Italien zurück und gründete das Satiremagazin Candido. Auch in den folgenden Jahren wurde er noch mehrfach für seine Kritik an staatlichen Autoritäten verurteilt. Inzwischen hatte er jedoch die „kleine Welt“ des Don Camillo und Peppone geschaffen, die sehr schnell eine ungeheure Popularität erlangte, selbst wenn viele Kritiker und Intellektuelle ihn dafür mit Hohn überschütteten. Das Life-Magazin bezeichnete ihn einmal als den „fähigsten und erfolgreichsten antikommunistischen Propagandisten in Europa.“
Er starb in Cervia am 22. Juli 1968.