Das Wagnis verändert
Vierzig Jahre nach seinem Erscheinen ist das Wagnis der Erziehung von Don Giussani zur Methode für 25.000 Lehrer geworden, von Uganda über den Südsudan bis Jordanien.Kampala, 2002. Kizito und Robert unterrichten an einer privaten Highschool. Sie kennen CL seit einiger Zeit und nehmen am Seminar der Gemeinschaft teil. Aber mit ihrem Beruf scheint das nichts zu tun zu haben. In Uganda ist die Schule nur als Frontalunterricht konzipiert. Die Schüler sind den Lehrern ziemlich egal. Sie müssen vor allem auswendig lernen – gegebenenfalls auch unter Einsatz von Stockschlägen. Wie kann man da die Erfahrung der Bewegung in den Unterricht einbringen? „Treffen wir uns doch einmal, um das Wagnis der Erziehung von Don Giussani zu lesen!“, schlagen Clara Broggi und Giovanna Orlando vor. Die beiden sind Memores Domini. In Uganda sollen sie pädagogische Projekte der AVSI betreuen, einer italienischen NGO.
„Das war eigentlich unser erster ‚Weiterbildungskurs‘ zum Thema Erziehung. Bis zum bisher letzten Kurs für Angestellte des jordanischen Bildungsministeriums haben wir mehr als 25.000 Leute in ganz Afrika erreicht“, erklärt Mauro Giacomazzi. Er ist seit 2007 für AVSI in Kampala und hat geholfen, das Permanent Center of Education aufzubauen. Heute heißt es Luigi Giussani Institute for Higher Education und ist „eher eine Art Fachhochschule“ zur Aus- und Weiterbildung von Lehrern. „Der Leitfaden ist immer noch dieses Buch“, sagt Giacomazzi. Darin fasste Don Giussani 1977 seine Erfahrung als Lehrer und Erzieher zusammen. „Erziehung ist ein Mitteilen seiner selbst, also der Art und Weise, wie man mit der Wirklichkeit umgeht“, schreibt der Gründer von CL. Er spricht von einem Weg, bei dem Schüler und Lehrer sich mit ihrer ganzen Freiheit ins Spiel bringen sollen.
„Auch heute, vierzig Jahre später, sind diese Worte sehr aktuell“, meint Giacomazzi. Dabei denkt er auch an seine Reise nach Jordanien vor wenigen Wochen. „Beim Bildungsministerium sollte ich einen Kurs über sehr technische Themen geben. Ich hatte mit den üblichen Beamten gerechnet, aber dann saß der gesamte Führungsstab da. Ich gab eine kurze Einführung in das, was wir machen und das Wagnis der Erziehung und erklärte, welche Themen ich behandeln wollte. ‚Uns interessiert der erste Teil‘, sagten die Leute mir. ‚Wir würden gerne mehr über das hören, was Sie am Anfang gesagt haben. Das ist hilfreich für uns.‘“ Am Ende des Kurses, der dann eigentlich nur die Erziehungsmethode Don Giussanis zum Gegenstand hatte, kam eine leitende Angestellte mit Kopftuch auf Mauro zu und nahm seine Hand. „Das heißt einiges, wenn eine Muslima die Hand eines Mannes berührt … Sie dankte mir und sagte, sie habe unglaublich viel über ihren Beruf gelernt.“ Jetzt hat das Ministerium beschlossen, diesen Kurs als eines der Module in die Lehrerausbildung aufzunehmen.
Um zu verstehen, was in Jordanien geschah, ist es hilfreich, zum Jahr 2002 zurückzukehren, als Kizito und Robert vorschlugen, zu den Treffen über das Wagnis der Erziehung auch ihre Kollegen einzuladen. „Ein kleines interaktives Training zu dem Buch, mit visuellem Material und Filmen über Themen wie Tradition, Autorität, persönliche Erfahrung, Freiheit …“ 2005 unterstützt der Päpstliche Rat Cor Unum diese Initiative und es gibt immer mehr Kurse. „Auch AVSI beschloss, unsere Kurse zu unterstützen und sie auch für ihre anderen Aktivitäten zu nutzen“, berichtet Mauro. Aber das alles musste besser organisiert werden. So kam die Idee des Permanent Center of Education (PCE). „Es sollte zum Ziel haben, allen die Herausforderung weiterzugeben, die Don Giussani im Wagnis der Erziehung durch ein Zitat des österreichischen Theologen Jungmann formuliert: Erziehung als ‚Einführung in die Gesamtwirklichkeit‘.“
Im Januar 2009 nahm das Center die Arbeit auf, „mit einem Budget von wenig mehr als 5.000 Euro. Wir waren nur zu viert, Clara, ich und zwei weitere ‚Multiplikatoren‘, in einem brandneuen Gebäude, nicht weit vom Ufer des Victoriasees.“ Leider fehlte Giovanna, die im Jahr zuvor an Krebs gestorben war.
Der gleiche Wert. Diese Methode war eine Revolution für das afrikanische Verständnis von Unterricht. „Doch nicht nur das. Auch der Wert der Person wird in dieser Gesellschaft sehr gering geachtet.“ Und der Beruf des Lehrers ist meist schlecht bezahlt und hat geringes Ansehen. „Wir beginnen, bevor wir didaktische Methoden vorstellen, erst einmal damit, denjenigen, die unterrichten sollen, klar zu machen, dass die Kinder, die sie vor sich haben, die gleiche Sehnsucht und den gleichen Wert haben wie sie. Sie zu erziehen bedeutet nicht, ihnen das einzutrichtern, was die Lehrpläne des Ministeriums vorsehen, sondern sie als Personen aufblühen zu lassen.“ Das ist in Afrika alles andere als selbstverständlich. „Manchmal müssen wir erst einmal erklären, wozu es wichtig ist, die Namensliste durchzugehen und die Anwesenheit zu prüfen. Das machen nur wenige, und nur selten kennt ein Lehrer die Namen seiner Schüler“, erklärt Mauro.
Das PCE wird mit den Jahren immer größer. Nicht nur in Kampala. Auch im Südsudan, in der pädagogischen Fakultät der Saint Mary-Universität in Juba gibt es inzwischen eine Zweigstelle. Oder im Flüchtlingslager Dadaab im Nordosten Kenias, an der Grenze zu Somalia. Dort werden muslimische Lehrer ausgebildet. Außerdem im Kongo, in Myanmar, in Ruanda …
„Wir sind immer dem nachgegangen, was sich ereignete“, sagt Mauro. Auch als zwei neue „Faktoren“ auftauchten. Einerseits wünschten sich viele Frauen des Meeting Point in Kampala (eine Vereinigung, die um Rose Busingye entstanden ist und sich um Aidskranke kümmert) eine Schule für ihre Kinder, in der sie dieselbe Erfahrung machen konnten wie sie. „Andererseits brauchten wir einen Ort, wo wir das umsetzen konnten, was wir den Leuten am PCE beibrachten. Wir wollten selber dazulernen in dem Bereich, Feedback bekommen und Neues ausprobieren.“ So entstand 2010 die Luigi Giussani Highschool im Stadtteil Kireka. Inzwischen umfasst sie auch eine Grundschule und hat mehr als 1.000 Schüler.
„Don Giussani definiert im Wagnis der Erziehung ein ‚Problem‘ nach dem griechischen Ursprung als etwas, das vor einem steht. Dieser Herausforderung stellen wir uns. Schritt für Schritt versuchen wir, auf die Anforderungen der Wirklichkeit zu antworten. Dabei gehen wir immer von der Erfahrung aus, die wir in den Klassen machen.“ Zum Beispiel in der Luigi Giussani Highschool. Aber nicht nur dort. Auch in anderen Schulen, die aus der Bewegung hervorgegangen sind, wie in Nairobi, Kenia, oder in Nigeria. „Das ist unser Weg, um neue didaktische Methoden zu finden oder neue Zugänge zum Lehrstoff. Immer mit dem Ziel, die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler aufzubauen, wie Giussani sie versteht. Die Didaktik, die Lehrinhalte werden zu Mitteln, um das Herz der jungen Menschen zu erreichen.“
Irgendwann nimmt auch das ugandische Ministerium Notiz vom PCE und würdigt seine Arbeit. „Man forderte uns auf, uns als Institut zur Lehrerausbildung anerkennen zu lassen und den Namen zu ändern. Sie selber rieten uns, es nach Don Giussani zu nennen, weil sie gesehen hatten, dass es um seine Methode ging“, erzählt Mauro. Damit kam nach Grund- und weiterführender Schule jetzt auch eine Hochschule hinzu. Am Luigi Giussani Insitute for Higher Education kann man Lehrer werden. „Warum sollten wir die Leute erst ausbilden, wenn sie schon als Lehrer arbeiten?“, fragt Mauro.
Heute ist das Budget ein Vielfaches von 2009 und das Institut hat mittlerweile 17 Angestellte. Unterstützt wird es nicht nur von AVSI, sondern auch von anderen Partnern wie der Notre Dame University in den USA. „Wir geben mittlerweile Kurse und haben Projekte in ganz Afrika. Und wir betreiben auch Forschung, um herauszufinden, welche Ergebnisse unsere Methode bei den Jugendlichen zeigt, schulisch wie menschlich. Und auch, welchen Einfluss der Glaube dabei hat. Es ist ganz deutlich: Die Schüler der Luigi Giussani gehen gerne zur Schule, sie sind fleißig und erzielen sehr gute Ergebnisse. Das verändert auch ihre Familien. Unsere Schüler sind offener und gehen unerschrockener alle möglichen Themen an. Solche Charaktere findet man unter Afrikanern selten, deren Neugier und Fragen oft von klein auf unterdrückt und nicht ernstgenommen werden.“ Auch einem amerikanischen Wohltäter, der nach Uganda kam, um die von ihm finanzierten Projekte zu besuchen, fiel das auf: „Ich habe noch nie Jugendliche gesehen, die mit einer solchen Leidenschaft von sich und ihrer Schule erzählen“, meinte er.
Das Herz berühren. Vor einigen Jahren wurden die Initiatoren des PCE von einer Hilfsorganisation aus Washington kontaktiert. „Wir trafen uns, sie bewilligten uns die Mittel, aber dann ließen sie nichts mehr von sich hören.“ Zwei Jahre lang arbeiteten Mauro und seine Mitarbeiter mit diesem Geld. Dann sandte die Organisation plötzlich eine Beauftragte zur Kontrolle. „Sie war afrikanischen Ursprungs. Wir hatten eine kleine Präsentation in der ersten Etage vorbereitet, aber es gab keinen Strom für den Fahrstuhl. Und sie war körperbehindert.“ Mauro und seine Leute verlagerten alles ins Erdgeschoss. Das verdrießliche Gesicht der Dame, die gekränkt war durch das dem Missgeschick, veränderte sich allmählich. Schließlich sagte sie gerührt: „Wissen Sie, Mauro, wenn man von der Erziehung in Afrika spricht, kommen mir die Tränen. Denn alle meinen, es gäbe keine Hoffnung. Heute aber habe ich Hoffnung gesehen.“
„Wenn man das Herz der Menschen berührt, kann alles mögliche geschehen“, meint Mauro. „Ich denke immer noch an das, was mir ein Lehrer aus dem Südsudan nach einem Kurs gesagt hat. Er erzählte mir, am Abend zuvor, als er nach Hause ging, habe er gesehen, wie sein fünfjähriger Sohn wie verrückt nach Hause rannte. ‚Er wusste, dass ich ihn geschlagen hätte, wenn er nach mir angekommen wäre. Aber als ich ihn traf, sagte ich ihm, er solle wieder spielen gehen. Ich würde ihn zum Abendessen rufen. Er gehorchte, weil er Angst hatte. Ich aber würde mir wünschen, dass er mich liebt.‘“
Das Wagnis der Erziehung von Luigi Giussani gibt es auch auf Deutsch. Hier kann man es bestellen.