Caravaggio, Anbetung der Hirten (Detail), 1609. Museo Regionale di Messina, Italien © A. Dagli Orti/Scala, Florenz

Ganz menschlich - Weihnachtsplakat 2019

Das Gemälde Caravaggios auf dem diesjährigen Plakats ist ein Meisterwerk der Einfachheit. Die Blicke der Hirten, die sich ganz einnehmen lassen von dem, was sie da sehen, treffen den Kern dieses Ereignisses: Gott wird zu „einer Kraft in unserer Nähe“.
Giuseppe Frangi

Eine Diagonale. Eine einfache Diagonale. Die Anbetung der Hirten, ein Meisterwerk aus einer sehr schwierigen Zeit im Leben Caravaggios, enthüllt ihren Sinn entlang dieser Linie. Sie wirkt wie ein kompositorischer und poetischer Tragbalken des Bildes. Die Linie beginnt oben rechts bei dem Hirten, der sich auf seinen Stock stützt, und führt von dort über den Kopf des kahlen Hirten bis zu Maria, die das Kind im Arm hält. In dem durch die Diagonale definierten unteren Dreieck versammelt Caravaggio die wichtigsten Figuren, während er im oberen Dreieck etwas ganz Einfaches darstellt, einen großen, fast leeren Raum. „Diese kaputte und zerfallende Hütte aus Achsen und Balken“, wie sie Giovan Pietro Bellori 1672 beschrieben hat, ist Ausdruck der völligen Armut, in der sich das Geschehen abspielt.

Die Kraft dieser Linie, die das Bild teilt, liegt vor allem darin, dass sie so unmissverständlich nach unten weist. Und genau darin liegt das Entscheidende an Caravaggios Meisterwerk. Die Hirten, die gekommen sind, um das Kind zu sehen, scheinen sich mit ihrem Blick fast zu Boden zu stürzen. Genauer gesagt, auf das, was dort auf dem nackten Boden liegt. Normalerweise verehrt man etwas, was oben ist, was vom Licht des Himmels umschmeichelt wird. Caravaggio kehrt den Maßstab um. Sein Gemälde weist, gefühlsmäßig wie kompositorisch, auf die Erde, auf die harte, nackte Erde.

Diese Geometrie, die der große Künstler hier benutzt, ist angefüllt mit außergewöhnlicher menschlicher Dichte: Da sind die Hirten, die sich zu dem Kind herunterbeugen. Links neben ihnen der alte Josef, kenntlich an dem (nur ganz subtil gezeichneten) Heiligenschein. Alle haben sie einen einfachen Blick, der gefesselt ist von dem, was sie vor sich haben. Der erste Hirte links ist voller Staunen, der zweite scheint gerührt zu sein. Der Blick des Josef wirkt schlicht und fromm.

Auf dem Boden liegt Maria, mit dem Ellbogen stützt sie sich auf die Krippe. Ihr Gesicht liegt im Halbschatten. Es ist ganz ihrem kleinen Sohn zugewandt, der die Arme nach ihr ausstreckt. Was Caravaggio hier gemalt hat, ist wahrhaft eine demütige Gottesmutter, die sich „erniedrigt“ bis auf die Erde. Sie trägt einen leuchtend roten Umhang, vielleicht eine Metapher für ihr Herz, das von unendlicher Liebe brennt.



Diese Ikonographie wurde Caravaggio möglicherweise von seinen franziskanischen Auftraggebern vorgegeben. Das Gemälde, das sich heute im Regionalmuseum von Messina befindet, war für den Hochaltar der dortigen Kapuzinerkirche Santa Maria della Concezione bestimmt, die 1908 durch ein Erdbeben zerstört wurde. Caravaggio, „ein Mann mit einem unruhigen, streitsüchtigen und düsteren Geist“, wie ihn Francesco Susinno charakterisierte, hat wohl die Vorgaben der franziskanischen Auftraggeber gehorsam akzeptiert. Dann aber hat er sie entschieden übertroffen, mit jener genialen Einfachheit, durch die es ihm gelang, zum Kern der Wirklichkeit vorzustoßen und die Erwartungen der Menschen ins Bild zu setzen.

Wie Ferdinando Bologna schreibt, versuchte Caravaggio in solchen Gemälden, „das Heilige dem Normalen anzunähern, um es den Menschen nahezubringen ... Es durch etwas ‚Ähnliches‘ zugänglich zu machen, bedeutete für ihn, es von abstrakter und abgehobener Beschaulichkeit zu befreien und es den Menschen vor Augen zu führen in seinem zutiefst konstruktiven Aspekt einer nahen Kraft“. Genau das ist Weihnachten nach Caravaggio: eine Kraft in unserer Nähe.