Giussani, Beethoven und viel mehr …
Anlässlich des 100. Geburtstages von Don Giussani fand am 3. Oktober 2022 in der Münchner Mariahilfkirche ein Konzert der IMF-Orchesterakademie statt, das viele berührt und begeistert hat.50 Musiker aus fünf Ländern kamen in München zusammen, um den Gründer der Bewegung CL zu seinem 100. Geburtstag mit einem Konzert zu ehren. Die meisten zwischen 17 und 25 Jahre alt, aber ein paar auch um die 60, Berufsmusiker, Musikstudenten, Lehrer verschiedener Musikschulen und sogar einige Amateure. Zusammen bilden (oder verstärkten) sie die „IMF-Orchesterakademie“, die aus der „International Musical Friendship“ hervorgegangen ist. Dieser Verein, vor beinahe 30 Jahren von Musiklehrern ins Leben gerufen, organisiert jedes Jahr Musikfreizeiten, bei denen Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Ländern Europas eine Erfahrung von Musik und Freundschaft machen können, die nicht selten ihr Leben verändert.
Am Abend des 30. September beginnen die Proben in der Aula des Salesianums. Auf dem Programm des Konzerts stehen zwei Stücke, die Don Giussani besonders am Herzen lagen: Das Violinkonzert von Beethoven (op. 61) und Schuberts „Unvollendete“ (D 759). Die Zeit ist knapp. Nur drei Tage bleiben dem Orchester, um unter Leitung seiner Dirigentin Ya-Wen Köhler-Yang das Programm zu erarbeiten. Solist wird Michele Torresetti sein, der schon als Kind im IMF-Orchester mitgewirkt hat und nun Mitglied des Bayerischen Staatsorchesters ist. Zum ersten Mal übernimmt er den Solopart in Beethovens Violinkonzert, was auch für ihn eine Herausforderung ist. Doch selbst wenn am Abend die Instrumente weggelegt werden, geht es noch weiter mit Gesang und Liedern aus den unterschiedlichen Traditionen.
Am 3. Oktober vormittags ist es dann so weit. Die imposante Mariahilfkirche füllt sich mit Menschen, die gespannt sind auf die Musik und sich von Begeisterung der jungen (und junggebliebenen) Künstler anstecken lassen. Der Applaus will kein Ende nehmen!
Als Zugabe gibt es noch ein Werk, das Lorenzo Geroldi, ein junges Mitglied des Orchesters, für einen verstorbenen Freund komponiert hat. Und was man so auch sonst nicht erlebt: Das ganze Orchester singt noch zwei Lieder, Signore delle Cime und Non nobis, Domine. „Nicht uns, Herr, gib die Ehre, sondern deinem Namen!“
Auch Don Giussani wäre sicher bewegt und begeistert gewesen. Die Schönheit, die in der Musik und auf den Gesichtern der Aufführenden zum Ausdruck kam, war Ausdruck jener göttlichen Schönheit, zu der er unermüdlich die Menschen hingeführt hat.
Wie dankbar auch die Mitwirkenden für dieses Erlebnis waren, beschreibt das folgende Zeugnis:
„Nach den Tagen in München mit dem Höhepunkt des Konzertes am 3. Oktober 2022 erfüllen mich viele Eindrücke, die mich manches tiefer verstehen lassen, was für mein ganzes Leben wichtig bleibt.
Es ist schon für sich genommen ein Reichtum, gemeinsam mit anderen zu musizieren und damit in die Welt genialer Menschen wie Beethoven und Schubert einzutreten, die mich Aspekte der Wirklichkeit und der menschlichen Natur wahrnehmen lassen, die ich ohne sie übersehen würde. Daher war allein die Verfügbarkeit von Schülern und Studenten verschiedener Altersstufen sowie der Lehrkräfte beeindruckend, Zeit und Mühe hinzugeben und auch längere Reisen auf sich zu nehmen, um diese gemeinsame Erfahrung zu machen.
Was mich aber in diesen Tagen am meisten berührt und bewegt hat, war die Wahrnehmung der Personen an meiner Seite und eine ungewöhnliche Weise, gemeinsam Zeit zu verbringen. Eigentlich waren wir ja zusammengekommen, um ein Programm in kurzer Zeit zu erarbeiten und ein Konzert vorzubereiten. Zu meiner großen Überraschung war aber keinerlei Bruch zwischen unserer Probenzeit und der freien Zeit außerhalb davon. Die beiden Abende, die wir gemeinsam mit Liedern und persönlichen Beiträgen verbracht haben, waren für mich ganz außergewöhnlich. Warum? Viele von uns sind sich ja zum ersten Mal begegnet und kannten sich gar nicht. Die Altersspanne reichte von Schülern und Jugendlichen bis zu Personen über 60 Jahren. Und doch war eine Aufmerksamkeit und Gemeinsamkeit beim Singen und Zuhören persönlicher Beiträge unter uns spürbar, die mich mit großem Staunen zurückließ.
In einer Zeit, in der so viele sich schwertun, ihre Zeit kreativ und erfüllt zu gestalten und sie oft mit oberflächlicher Zerstreuung ‚totschlagen‘, konnte ich eine Freude, Kreativität und Intensität erfahren, die man nicht produzieren, sondern an der man nur dankbar teilhaben kann. Als plötzlich einige ihre Instrumente auspackten und zu den Liedern geistreich und witzig eine Begleitung zauberten (mit Fagott und Trompete wohlgemerkt!), da musste ich an einen Ausdruck von Don Giussani denken, der jedem Augenblick die Würde des Bleibenden und Ewigen zusprach: die ‚Dichte des Augenblicks‘.
Ähnliches empfand ich, als beim Frühstück einige erzählten, dass sie am Vorabend in einer Kneipe gewesen und ein mehrstimmiges ‚Trinklied‘ angestimmt hätten. Darauf erhob sich zwei Tische weiter eine Gruppe von Engländern, professionelle Chorsänger, die Bach mehrstimmig im Repertoire hatten. Als Antwort sangen unsere Italiener wiederum ein mehrstimmiges Lied der ‚Alpini‘, und so fort … Am Ende versuchten beide ‚Chöre‘ zusammen, auswendig das Ave Verum von Mozart zu intonieren.
Oder wie berührt war ich, als kurz vor dem Konzert alle zusammenkamen, um Alecrim, ein brasilianisches Volkslied, zu singen, bevor wir hinausgingen in die Kirche. Oder als am Ende des Konzerts mehrstimmig Signore delle cime angestimmt wurde und am Schluss das Non nobis. Da war gar keine Trennung mehr zwischen Gebet und konkreter Handlung, eins gehörte untrennbar zum anderen. Dadurch verstand ich wirklich noch besser, dass Ora et labora (‚Bete und arbeite‘) wirklich dem Herzen des Menschen entsprechen und ihn froh und frei leben lassen!
Und dann die freundschaftliche Nähe von Michele und Ya-Wen, die in ihrer Bescheidenheit uns ihre Liebe zu dieser großen Musik weitergeschenkt haben und uns an ihr teilhaben ließen …
Kurzum, diese Tage haben für mich aufstrahlen lassen, was in unserer Weggemeinschaft immer wieder beschrieben wird: eine andersartige Menschlichkeit!
Wir haben alle gewiss etwas hingegeben zur Ehre von Don Giussani und aus Dankbarkeit ihm gegenüber. Aber das größte Geschenk hat ganz sicher er uns gemacht, indem er uns gerade bei diesem Konzert hat verstehen lassen, dass er durch sein Charisma im Grunde eines wollte: vielen Menschen helfen, den Satz des Heiligen Irenäus am eigenen Leibe zu erfahren, den er so oft zitiert hat: ‚Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch‘.
Andreas“#100Initiativen