Wofür lohnt es sich zu leben?
Franz Jägerstätter wurde von den Nazis zum Tode verurteilt, weil er sich weigerte, für Hitler in den Krieg zu ziehen. Was sagt uns sein Zeugnis heute? Ein Gespräch mit Don Emmanuele Silanos, einem der Kuratoren der Ausstellung beim Meeting in RiminiGlauben wir also kindlich und handeln wir wie ein Mann“, schrieb Franz Jägerstätter im Jahr 1941. Im Jahr darauf weigerte sich der österreichische Bauer aus einem kleinen Dorf an der Grenze zu Bayern, den die Kirche 2007 seliggesprochen hat, für das Nazi-Regime zu kämpfen, wohl wissend, dass ihn das das Leben kosten würde. Es war sein einfacher, kindlicher Glaube, der ihn zu dieser Entscheidung führte. Ein Glaube, der aufgeblüht war und genährt wurde durch die Beziehung zu seiner Frau Franziska, die die Entscheidung ihres Mannes akzeptierte und ihm auf seinem schweren Weg zur Seite stand. Beider Zeugnis, außergewöhnlich und normal zugleich, wurde dargestellt in der Ausstellung „Franz e Franziska“, die eine der meistbesuchten des Meetings in Rimini war. Wir haben darüber mit einem der Kuratoren der Ausstellung gesprochen, Don Emmanuele Silanos von der Fraternità San Carlo, der nach sechs Jahren Mission in Taiwan seit 2013 Generalvikar der Priesterbruderschaft ist.
Wie kam es zu deinem Interesse an Franz und Franziska?
Ich kannte die Geschichte nicht, bis ich in der Coronazeit den Film Ein verborgenes Leben von Terrence Malick sah, der die Geschichte außergewöhnlich eindrucksvoll erzählt. Ich habe ihn dann vielen Freunden empfohlen, darunter auch einigen Familien aus Padua. Diese schlugen mir letztes Jahr anlässlich des Todestages von Papst Benedikt XVI. eine Wallfahrt vor zu dessen Geburtsort sowie dem des Ehepaars Jägerstätter, der nur wenige Kilometer entfernt liegt. In St. Radegund hatten wir dann das Glück, Maria, eine der vier Töchter der beiden, zu treffen und mit ihr sprechen zu können. Sowohl der Besuch des Hauses als auch das Gespräch mit ihr haben uns so beeindruckt, dass wir beschlossen, eine Ausstellung für das Meeting vorzuschlagen. Das traf sich mit dem Interesse einiger Forscher der Zeitschrift LineaTempo, und aus der Zusammenarbeit dieser beiden Gruppen ist dann die Ausstellung in Rimini entstanden.
Warum war dieser Besuch im Wohnhaus der Jägerstätters für euch so wichtig?
Vor allem wegen des Gesprächs mit der Tochter. Als wir sie fragten, ob sie und ihre Schwestern jemals Zweifel an der Entscheidung ihres Vaters gehabt hätten, antwortete sie: „Nein. Denn unsere Mutter hat uns immer gesagt, dass er das Richtige getan hat. Und sie hatte Recht: Er wäre nicht glücklich geworden, wenn er nicht so gehandelt hätte.“ Da wurde mir klar, dass man nicht nur die Geschichte von Franz erzählen musste, sondern auch die von Franziska und ihrer Ehe. Etwas Ähnliches war mir schon bei anderen Heiligen aufgefallen: Der normale Kontext, in dem sie lebten, bestätigt, dass Heiligkeit eng mit dem Alltag verbunden ist.
Könnte man sagen, das ist das Herzstück des Zeugnisses der beiden?
Ich möchte das aufgreifen auf, was Davide Prosperi bei der Internationalen Versammlung der Verantwortlichen gesagt hat: „Gerufen, das heißt, gesandt: der Beginn der Mission“, was ja jetzt auch das Thema des Eröffnungstages für die ganze Bewegung ist. Gott bewirkt eine Veränderung in der Geschichte durch eine Person, ein Ich, das sich verändert hat durch eine Erfahrung der Gemeinschaft. Und das war für Franz die Beziehung zu Franziska. Beim Meeting in Rimini war einer der vielen Menschen, die bewegt aus der Ausstellung kamen, ein lieber Freund von mir, Adriano Dell‘Asta. Er sagte einem der Kuratoren, und erfasste damit gut, woraus sich das Lebenszeugnis von Franz speiste: „Der Kern dieser Geschichte ist die Erfahrung der Barmherzigkeit, die ihm geschenkt wurde.“ Und das geschah durch seine Begegnung mit Franziska. Bis zu diesem Moment hatte er ein wildes, unordentliches Leben geführt, doch sie hat ihn gerettet. Wir können sagen, dass die Barmherzigkeit für ihn das Antlitz seiner Frau hatte.
Welche Bedeutung hat die Begegnung mit Franz für dein Leben?
Mich hat beeindruckt, was Erna Putz, die Biografin von Franz, in dem eigens für die Ausstellung gedrehten Video sagt: „Wenn ich die Briefe des Paares lese, denke ich, ich möchte auch heilig werden.“ Die Begegnung mit dieser Geschichte hat auch bei mir die Sehnsucht, heilig zu werden, wieder geweckt. Und dazu sind wir ja alle berufen als Getaufte. Auch Franz hat etwas Ähnliches erlebt: Sein Weg, an der Entscheidung festzuhalten, die er getroffen hatte, verlief nicht linear. Auch er hatte Zweifel, nicht zuletzt aufgrund des Drucks von außen. Doch wenige Wochen vor der Hinrichtung vertraute ihm der Gefängnispfarrer an, dass auch ein Priester, Pater Franz Reinisch, sich geweigert hatte, den Wehrdienst zu leisten, das gleiche Martyrium erlitten wie er. Diese Nachricht beruhigte Franz: „Dann kann ich doch nicht auf dem falschen Weg sein.“ Wenn man einen Menschen findet, der das verkörpert, was man empfindet, der das, was man selbst lebt, noch tiefer lebt, dann denkt man: Dann kann auch ich das. Und genau das geschieht uns, wenn wir Franz und Franziska Jägerstätter begegnen. Erna Putz sagt dazu: „Ihre Geschichte lehrt uns, dass sein Leben für den Glauben hinzugeben im Letzten Glück ist, Erfüllung.“ Sein Leben hinzugeben, um Christus zu bezeugen, ist Erfüllung: Das ist auch der Sinn der Mission. Und für mich als Missionar ist das ein ganz wichtiger Aufruf.
Wie du erwähnt hast, fehlte es bei Franz nicht an Zweifeln und Widerständen. Während des Verhörs sagte ihm der österreichische Beamte, sein Handeln sei nutzlos und werde den Verlauf des Krieges nicht ändern. Auch seine Mitbürger waren dieser Ansicht, sogar noch nach seinem Tod.
Der Beamte fragt ihn, warum er dies tue, da es den Verlauf des Krieges nicht ändern werde. Tut er es vielleicht aus Prinzip? Nein. Franz gibt sein Leben hin für eine Person, Christus, der sich ihm gezeigt hat in der Begegnung mit Franziska. Er opfert sein Leben für den, der es erlöst hat.
Es wird ihm auch suggeriert, seine Entscheidung gegen das Naziregime könne er doch in seinem Herzen behalten. Warum drängt ihn sein christliches Gewissen, die Entscheidung öffentlich zu machen?
In Malicks Film sagt ihm der Pfarrer, der ihn davon abbringen will: „Gott interessiert nicht, was du sagst, sondern was in deinem Herzen ist.“ Das ist ein schrecklicher Satz, die letzte Versuchung, die er im Gefängnis durchlebt. Er ist schrecklich, weil er einen Dualismus zwischen Glauben und Leben unterstellt. Jesus hat seine Jünger ausgesandt, öffentlich ihren Glauben zu bekennen, ohne Angst vor Schmähungen. Natürlich kann es bestimmte historische Umstände geben, die eine gewisse Vorsicht nahelegen, sich öffentlich zu äußern. Aber solch „kluges Verhalten“ darf nicht bedeuten, dass man mit dem Bösen kollaboriert und das Zeugnis ausdrücklich verweigert. Sonst würde es dem widersprechen, was Jesus von uns verlangt: sich seiner nicht zu schämen und sich keine Sorgen zu machen, „denn der Heilige Geist wird euch eingeben, was ihr sagen sollt“. In diesem Sinne gibt es einen wichtigen Aspekt, der in der Ausstellung gut zum Ausdruck kommt.
Und der wäre?
Franz sucht nicht den Märtyrertod. Er will seine Familie nicht im Stich lassen. Ja, er bittet sogar, seinen Militärdienst im medizinischen Bereich ableisten zu können, was aber abgelehnt wird. Das öffentliche Zeugnis ist kein Zurschaustellen, keine Kraftanstrengung, sondern eine Antwort auf die Liebe, die das Leben ergreift. Jeder ist im Rahmen seiner Berufung aufgefordert, alles zu geben bei dem, was er tagtäglich tut. Von mir zum Beispiel ist derzeit gefordert, in Rom zu bleiben, um der Priesterbruderschaft, der ich angehöre, zu dienen. Darin bestehet jetzt meine „Mission“, auch wenn das etwas ganz anderes zu sein scheint als zu der Zeit, da ich in Taiwan war.
Ein wichtiger Punkt ist die dramatische Beziehung Jägerstätters zur Kirche. Der Gefängnisseelsorger steht ihm bei seiner Entscheidung zur Seite, während der Pfarrer und der Bischof mit allen Mitteln versuchen, ihn davon abzubringen.
Einige Daten zum Verständnis: 1937 hatte Pius XI. in seiner Enzyklika Mit brennender Sorge klargestellt, dass es nicht möglich sei, gleichzeitig Christ und Nationalsozialist zu sein. Im folgenden Jahr stimmten 99 % der Österreicher in der Volksabstimmung für den Anschluss an das Deutsche Reich. Wenige Tage zuvor hatte die Österreichische Bischofskonferenz ein Dokument veröffentlicht, in dem sie dazu aufrief, mit „ja“ zu stimmen. Franz war von vorneherein nicht einverstanden mit dieser Position. Wie kam er zu dieser mutigen Haltung, die im Widerspruch zu der seiner Hirten stand? Zunächst einmal aufgrund seiner außergewöhnlichen Fähigkeit, zu unterscheiden und seinem eigenen Herzen und Gewissen auf den Grund zu gehen. Aber das konnte er, weil er tief im Glauben der Kirche verwurzelt war, im Gehorsam gegenüber dem Papst und dem Lehramt. Es wäre falsch zu sagen, dass Franz der Kirche nicht gehorcht hätte ... In gewisser Weise ist er einer der wenigen, die wirklich gehorcht haben! Ich möchte einen Satz anfügen, der sich in seinen Schriften findet: „Hätte mir Gott nicht die Gnade und Kraft verliehen, für meinen Glauben auch zu sterben, wenn es verlangt wird, so würde ich halt vielleicht dasselbe tun, wie die Mehrzahl es tut.“ Das Martyrium ist eine Gnade: Es ist eine Gnade, wenn es von einem gefordert wird, und es ist auch eine Gnade, wenn man dazu ja sagen kann. Ich habe viele Menschen beim Verlassen der Ausstellung sagen hören: „Ich wäre dazu nicht in der Lage gewesen. Ich hätte das nie getan.“ Aber bei der Mission und beim Zeugnis geht es letztlich nur darum: ja zu sagen zu dem, was Christus jetzt von einem verlangt. So war es auch für Franziska.
Kardinal Zuppi hat im Vorwort des Katalogs das, was Franziska zustieß, als „weißes Martyrium“ bezeichnet.
Als ihr Mann starb, war sie erst dreißig Jahre alt. Dann litt sie siebzig Jahre lang unter dem Unverständnis und den bösen Bemerkungen der Menschen in ihrem Dorf. Sie erhielt nicht einmal eine Kriegswitwenrente, aber vor allem musste sie das Schweigen ertragen, das über die Geschichte ihres Mannes gebreitet wurde. Erst 1997 rehabilitierte der österreichische Staat Franz Jägerstätter, und im selben Jahr begann der Seligsprechungsprozess. 2007, am Tag der Seligsprechung, küsste Franziska die Urne mit der Asche von Franz und übergab sie dem Bischof von Linz. Mit dieser Geste überantwortete sie gewissermaßen der österreichischen Kirche jenen Sohn, den sie jahrelang vergessen hatte und dessen Andenken Franziska allein bewahrt hatte.
Wie hat sie das geschafft?
Indem sie das beherzigte, was Franz ihr in seinen Briefen aus dem Gefängnis geschrieben hatte: niemandem etwas nachtragen, allen verzeihen, auch denen, die ihr Schaden zufügen. Ihr ganzes Leben hat sie als Bäuerin gelebt, ihre Töchter aufgezogen und ist täglich zur Messe gegangen. Ein einfaches Leben. Franziska lebte, indem sie die Erinnerung an ihren Mann bewahrte und mit der Zeit die Gründe erkannte, die ihn bewegt hatten. So ist es auch bei uns: Alles hinzugeben lernen wir nur Schritt für Schritt, indem wir die kleinen Ja des Alltags sprechen, zu unserer Frau, zu unserem Mann, zu den Kindern ...
Viele Leute sind mit feuchten Augen aus der Ausstellung herausgekommen. Welche Begegnungen haben dich am meisten beeindruckt?
Sehr viele. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Herrn, der sagte: „Ich war immer darauf bedacht, meiner Familie ein perfektes Leben zu bieten. Jetzt weiß ich, dass es nur darauf ankommt, ihnen zu zeigen, wofür es sich zu leben lohnt.“ In diesem Sinne ist überraschend die Bemerkung von Paul Kahn, einem amerikanisch-jüdischen Juristen, der bei einer der Veranstaltungen des Meetings sagte: „Das Herz dieser Ausstellung sind nicht die soziologischen Aspekte, sondern die Frage: Wofür hat es Sinn, sein Leben hinzugeben?“