LIBYEN: „EINFACH CHRISTEN SEIN“

Islamistischer Terror, politische Anarchie. Was kann Libyen noch helfen? Ein Interview mit Pater ALLAN ARCEBUCHE, dem Direktor der Caritas in Tripolis.
Andrea Avveduto

„Entschuldigen Sie die Verspätung. Ich habe gerade noch das Aschenkreuz gespendet. Seit heute Früh kommen ständig Leute in die Kirche. Bei der Messe war die Kirche überfüllt … Ich glaube, das wird eine besondere Fastenzeit für alle Christen in Tripoli.“ Es ist nicht leicht, Pater Allan Archebuche zu erreichen. Er ist Franziskaner, stammt aus den Philippinen und leitet als Vikar des Bischofs Giovanni Martinelli die Caritas in Libyen. „Mir geht es gut“, sagt er uns am Telefon. „Wir leben zwar unter äußerst schwierigen Umständen, aber wir tun weiter unsere Arbeit.“

Libyen rückt wieder mehr ins Licht der Öffentlichkeit. Was ist seit dem Tod Gaddafis geschehen?
Zu Anfang herrschte vorsichtiger Optimismus, nach der Revolution sind viele nach Libyen gekommen, um Arbeit zu suchen. Auch viele Christen, aus Nigeria, Togo, vom Horn von Afrika, allgemein aus den Ländern südlich der Sahara. Durch die Arbeit hier konnten sie ihre Familien zu Hause unterstützen. Es reichte, wenn man an der Grenze 500 Dollar zahlte, um „sicher“ ins Land zu kommen. Für einige war Libyen auch nur das Sprungbrett nach Europa.

Und dann?
Nach dem Ende des Regimes kamen auch islamistische Gruppen ins Land. Nach und nach versuchen sie, dem Land ihre Regeln aufzuzwingen, indem sie immer mehr Gebiete unter ihre Kontrolle bringen. Nie zuvor haben wir ein solches Ausmaß an Gewalt erlebt. Die Christen waren in den beiden vergangenen Jahren noch einigermaßen sicher. Erst in den letzten Monaten nahmen die Angriffe zu. Aber ich versichere Ihnen, der „Islamische Staat“ ist nicht das Hauptproblem. Der macht durch solche Aktionen vor allem Werbung für sich. Der Kern des Problems ist ein interner Kampf um die Macht in Libyen.

Pater Allan Archebuche

Die 22 Christen wurden aber vom IS hingerichtet …
Man hat Angst vor Al-Baghdadi, klar. Der IS versucht, das Land zu infiltrieren. Was mit den Kopten geschehen ist, ist furchtbar. Jetzt ist es sogar schon gefährlich, sich aus Tripolis herauszubewegen. Überall sind bewaffnete Banden aller möglichen Fraktionen, die völlig unberechenbar sind. Die politische Anarchie macht uns Sorgen.

Könnten die Christen nicht einfach das Land verlassen?
Auf keinen Fall. In Tripolis arbeiten Christen in den Krankenhäusern oder sind für den Aufbau der Infrastruktur des Landes verantwortlich. Aber nicht nur das. Die Christen sind das Herz Libyens. Momentan haben viele Angst, dass ihre Gehälter nicht bezahlt werden. Die politische Instabilität verursacht viel Leid. Aber ist die Teilnahme am Leiden Christi nicht der Sinn der Fastenzeit?

Was halten Sie von der Option einer europäischen Intervention?
Ich hoffe, dass wirtschaftliche Interessen nicht auch dieses Mal über das Wohl der Bevölkerung siegen werden. Libyen ist kompliziert. Es hat eine ganz eigene Geschichte. Hier leben viele Stämme und ebenso viele Mentalitäten. Nochmals, die beste Lösung ist die, die durch Dialog zustande kommt. Ich bitte den Westen eindringlich, diesmal das Wohl unseres Landes im Auge zu haben, und nicht nur sein eigenes.

Was können Christen in der gegenwärtigen Lage tun?
Einfach Christen sein. Offen sein für den Dialog mit anderen Konfessionen, allgemein für andere offen sein. Und zwar für den anderen als Person, nicht als Feind. Das ist unser Christsein. Und die Einheit. Die Muslime sind fasziniert, wenn sie uns gemeinsam beten sehen. Das sagt doch einiges.