9. März 2015: eine moslemische Menschenmenge (3.000 Personen) zündeten Dutzende Häuser im christlichen Viertel von Lahore an.

Erfahrungsbericht aus dem Irak

„Wir gehören nur Jesus“. Interview mit dem Flüchtlingspfarre Douglas Bazi.
Luca Fiore

Anschläge, Entführung, Vergebung. Der Flüchtlingspfarrer Douglas Bazi erklärt, warum seine Leute nicht hassen
Der Priester Douglas Bazi spricht nicht gern über seine Erfahrungen. Zum Teil, weil er immer noch darunter leidet, wenn er an jene Momente zurückdenkt, zum Teil, weil er in einem Irak, der nichts weniger brauchen kann als eine weitere Dosis Gift, nicht noch mehr Hass schüren will. Im Jahr 2006 steht er im Dienst einer chaldäischen Pfarrgemeinde in Bagdad. Sie nehmen ihn gefangen, fesseln ihn, verbinden ihm die Augen. Sie zertrümmern ihm die Nase und schlagen ihm mit einem Hammer die Zähne aus. Den ersten Schluck Wasser bekommt er nach fünf Tagen. Man hält ihm eine Pistole an die Schläfe: „Hast du keine Angst, zu sterben? Die anderen flehen uns an, sie am Leben zu lassen, warum tust du das nicht?“ Und er: „Die anderen wissen nicht, was Leben und Tod ist.“ Ein Albtraum, der neun Tage gedauert hat. Im Juli 2013 ist er in die Kirche von Mar Elia in Erbil in der Autonomen Region Kurdistan versetzt worden. Heute sind seine Gemeindemitglieder vor allem Flüchtlinge aus Mossul und Karakosch. Einhundertfünfzig Familien, die dem Terror der Isis entronnen sind. Im Zentrum herrscht eine merkwürdige Gelassenheit, unter der sich unsägliche Wunden wie die seinen verbergen.

Was haben Sie gedacht, als Sie die Worte des Papstes über die verfolgten Christen gehört haben?
Ich habe seine Worte in meiner Osterpredigt zitiert. Ich habe gesagt, dass dies die Zeit ist, in der die Welt verstehen muss, dass der Frieden die einzige Option ist. Die einzige Option, um die Menschheit zu retten. Der Papst hat uns in sein Herz geschlossen und denkt aus tiefer Seele an uns. In Wahrheit ist unsere größte Sorge nicht die, getötet zu werden. Doch wir wollen nicht vergessen werden. Die christlichen Flüchtlinge aus Mossul sind nicht zornig auf Gott. Wenn ich sie frage, was sie über das Vorgefallene denken, sagen sie: Wir müssen für unsere Feinde beten, wie Jesus es uns gesagt hat. Wir müssen ihnen vergeben, denn sie wissen nicht, was sie tun.

Diese Menschen haben aber doch alles verloren.
Ja, manchmal sagen sie: „Am 6. Juni (am 6. Juni 2014 ist der IS in Mossul eingefallen, A.d.R.) haben wir alles verloren“. Dann erwidere ich: „So dürft ihr das nicht sagen, sagt vielmehr: ,Am 6. Juni hat Gott uns das Leben gerettet‘.“ Vielleicht war die Flucht aus Mossul kein Unglück für sie, sondern ihre Rettung.

Haben Sie keine Angst, zu sterben?
Wenn Sie sich die Videoaufnahmen von den Menschen anschauen, die vom IS umgebracht wurden, können Sie sehen, dass die Opfer vor ihrer Hinrichtung ganz ruhig sind. Ich weiß, was das heißt: Manchmal ist der Tod die bessere Alternative. Denn wenn du stirbst, bist du in Gottes Hand. Es ist besser, in Gottes Hand zu sein, als in der Hand gewisser Leute. Ich denke da an mich: Sie haben auf mich geschossen, sie haben meine Kirche in die Luft gesprengt, ich habe diverse Anschläge überlebt, bin entführt worden. Und doch wünsche ich mir immer noch eine Zukunft, die frei von Hass ist.



Wie ist das möglich, dass Sie frei von Hass sind?
Die einzig sinnvolle Antwort lautet: Weil wir Christen sind. Wer bin ich denn, um mich zu beklagen? Wer bin ich denn, um zu Gott zu sagen: Warum tust du uns das an? Man ist nicht nur dann Christ, wenn alles rund läuft. Dem Papst würde ich gerne sagen: Danke für deine Gedanken und deine Gebete. Aber auch: als Christen im Irak werden wir nie aufgeben. Ich bin chaldäischer Priester, ich weiß, dass meine Sendung gefährlich für mein Leben sein kann. Doch ich bin berufen, mich um mein Volk zu kümmern. Und ich werde dort sein, wo meine Leute sind.

Was haben Sie in diesen so schweren Jahren gelernt?
Ich erinnere mich an keine Nacht seit meiner Entführung vor neun Jahren, in der ich länger als zwei Stunden geschlafen hätte, ohne Albträume zu bekommen. Noch heute gehe ich nicht schlafen, ohne mir eine Wasserflasche neben das Bett zu stellen, weil sie mir vier Tage lang nichts zu trinken gegeben haben. Doch ich glaube, dass die Gnade Gottes nicht ohne die Vergebung von Mensch zu Mensch oder von Generation zu Generation vermittelt werden kann. Sonst würden wir Hass und unsere Rachegefühle weitergeben.

Es scheint fast unmöglich, das jemanden sagen zu hören, der so viel gelitten hat.
Ich bin kein Held. Ich bin einfach ein Christ. Meine Aufgabe besteht darin, mich um die Gemeinde zu kümmern, um unsere Kirche. Und außerdem: Wenn man sich die Kirchengeschichte einmal ansieht, so waren die goldenen Zeiten die Zeiten der Verfolgungen. Es waren jene Momente, in denen die Christen auf besondere Weise der Welt das Antlitz Christi gezeigt haben.

Welches Ereignis hat Sie in diesen Monaten am meisten beeindruckt?
Ein Mann aus Mossul hat mir erzählt, dass sein muslimischer Nachbar, als der IS in die Stadt kam, an seine Tür geklopft und ihm gesagt hat: „Du musst weggehen, und ich werde mir dein Haus nehmen. Wenn ich es nicht tue, dann wird es jemand anders tun. Wenn ich dich morgen noch hier sehe, werde ich dich töten.“ Der Mann bereitet seinen Aufbruch vor, packt die Koffer, lädt seine Familie ins Auto. Doch bevor er fährt, geht er zur Tür seines Nachbarn und klopft dort an. „Habe ich dir nicht gesagt, dass ich dich töten würde?“ Und der Christ: „Seit dreißig Jahren sind wir Nachbarn, ich wollte nicht fortgehen, ohne mich zu verabschieden.“ Der Muslim beginnt zu weinen: „Nein, bleib hier. Ich werde dich beschützen.“ Und der andere: „Nein, wir waren Nachbarn. Jetzt sind wir es nicht mehr. Das Vertrauen ist zerstört.“



Heute wird Alarm geschlagen, dass die Christen aus dem Nahen Osten zu verschwinden drohen.
Wer das beklagt, dem erwidere ich: Wir gehören nicht diesem Stück Erde, wir gehören Jesus. Nur, wenn wir uns dieser Zugehörigkeit bewusst sind, werden wir etwas bezeugen und unserem Land nutzen können. Doch heute stehen wir vor einem Dilemma.

Welchem?
Die Leute schweben in Lebensgefahr, und wenn man sie retten will, dann muss man ihnen zur Flucht verhelfen, aber so verschwindet die christliche Gemeinde. Wenn man jedoch möchte, dass die christliche Gemeinde bleibt, besteht die Gefahr, dass das Volk verschwindet, weil es niedergemetzelt wird. Ich sage: Warum soll man die Schafe unter den Wölfen lassen? Ein anderer sagt: „Wir bleiben bis zum letzten Blutstropfen.“ Also hör mal: Die Zukunft baut man auf, indem man seinen Kindern Liebe, Gnade und Vergebung vermittelt. Nicht mit solchen Reden.

Das heißt?
Ich werde, wie ich schon sagte, bei meinem Volk bleiben. Hier oder anderswo. Derweil kümmere ich mich um die Kleinsten. Sie sind die Zukunft. Unsere „Rache“ wird darin bestehen, diese Kinder rechtschaffen aufwachsen zu lassen, sie zum Glauben zu erziehen, zu einer offenen Mentalität. Sonst wird der nächste IS von uns Christen hervorgebracht…

Wie hat sich Ihre Beziehung zu Jesus in diesen Jahren verändert?
Ich bin kein Engel. Ich habe viele Fehler im Leben gemacht, und es tut mit immer noch leid. Und doch, wenn ich mich anschaue, sehe ich, dass ich noch lebe. Und ich sage mir, dass ich noch nützlich sein, noch Gutes tun kann. Der Bote ist nicht wichtig, was zählt, ist die Botschaft. Wenn Jesus weiter Verwendung für mich hat, um das Evangelium zu verkünden, wird das auch mir zugute kommen können.

Was kann Europa heute tun, um Ihnen zu helfen?
Wir sterben nicht, weil es uns an Essen oder Medizin fehlen würde. Wir sind um unsere Zukunft besorgt. Dabei geht es für mich nicht um die Frage des Gebiets oder um die Präsenz im Nahen Osten. Ich denke an die Menschen, an die irakischen Christen, die im Libanon, in Jordanien und in der Türkei leiden. Öffnet ihnen Eure Türen. Macht, dass sie heil ankommen. Und nehmt sie auf.