Der Lehrer, der mit seinen Schülern in der Kneipe über Aristoteles diskutierte

Zum Tode des Philosophen Nikolaus Lobkowicz (1931-2019). Der Originalartikel ist in italienischer Sprache in Il Foglio erschienen.
Sergio Belardinelli*

Am vergangenen Donnerstag ist Nikolaus Lobkowicz gestorben, einer der bedeutendsten Philosophen und Intellektuellen unserer Zeit. Er wurde achtundachtzig Jahre alt. Meine Erinnerungen an ihn entspringen vor allem der Dankbarkeit. Ihm habe ich zu verdanken, dass ich in Deutschland studieren konnte. Ihm ist es zu verdanken, dass ich die wichtigsten deutschen Philosophen unserer Zeit, von Robert Spaemann über Hermann Lübbe bis zu Jürgen Habermas, persönlich kennenlernen konnte. Vor allem aber bin ich dank ihm mit einer außergewöhnlichen, vielfältigen, kosmopolitischen Welt in Berührung gekommen, in der viele Aristokraten waren, aber nicht im Sinne eines sozialen Standes, sondern im Sinne von Kultur und Intelligenz. Lobkowicz gehörte zu einer der großen Familien des europäischen Adels.

Intellektuelle, Politiker, Akademiker, Bischöfe, Kardinäle, alle spürten sie die Faszination dieses Mannes, der wie kaum ein anderer die Kultur und kluge Diskussionen liebte. Ob es um Philosophie, Politik, Kunst, Musik oder Religion ging, seine Beiträge waren immer kompetent, direkt, manchmal scharf, aber immer ruhig und nüchtern. Ich hatte nie das Gefühl, dass Nikolaus Lobkowicz etwas nur vom Hörensagen wisse oder voreingenommen sein könnte. Seine Treue zur Realität und Wahrheit scheint mir für die heutige Zeit absolut ungewöhnlich.

Ausdruck seines philosophischen und kulturellen Wirkens sind die vielen Bücher, die er geschrieben hat. Das letzte, Philosophische Memoiren. Erinnerung an die Philosophie, erst dieses Jahr erschienen, ist ein wahres Meisterwerk, was das Denken und die Leichtigkeit des Stils angeht. Ähnliches gilt für sein Engagement als Katholik. Er war immer bereit, zu den brennenden Fragen der Kirche in der heutigen Welt Stellung zu nehmen. Dies brachte ihm unter anderem die tiefe Wertschätzung der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Aber Nikolaus Lobkowicz war vor allem, so möchte ich fast sagen, ein Mensch der Universität. Die Universität war für ihn die entscheidende Institution, auf die man setzen sollte, um die dringendsten Herausforderungen unserer Zeit anzugehen.

Wer das Glück hatte, ihm in den Jahren nahe zu sein, in denen sein Amt als Präsident der Ludwig-Maximilians-Universität München und dann der Katholischen Universität Eichstätt ihn von der Lehre fernhielt, konnte feststellen, wie sehr ihm das Lehren fehlte. Da er kaum noch Vorlesungen halten konnte, lud er seine Studenten zum Mittagessen ein, um mit ihnen über die Inhalte ihrer Studien zu diskutieren, oder über das, was er zwischen all dem bürokratischen Papierkram gelesen hatte. Vielleicht war es eine Gewohnheit, die er in den Vereinigten Staaten angenommen hatte, wo er viele Jahre gelehrt hatte. Jedenfalls war das akademische Streitgespräch wohl seine wahre Berufung. Ich glaube sogar, dass ich erst an den Tischen der Lokale, in denen wir in München und Eichstätt so oft gemeinsam zu Mittag gegessen haben, wirklich zu seinem Schüler geworden bin. Ob wir nun über Aristoteles, Thomas von Aquin, über Marx oder Stephan George (den er ins Tschechische übersetzt hat) sprachen, das Beste kam immer, wenn er seine unvermeidliche Zigarette anzündete. Unauslöschliche Erinnerungen, wie sie die wahrhaft großen Lehrer hinterlassen, denen wir nur aus ganzem Herzen Dank sagen können



*Professor für prozessorientierte Soziologie an der Staatlichen Universität Bologna