Nairobi, 7.April 2015. ©REUTERS/Goran Tomasevic - RTR4WESG

Kenia und Pakistan: „Wir wollen bereit sein“

Am Ostermorgen haben sie sich zum Mittagessen getroffen. In ihren Augen stand noch geschrieben, was sich vier Tage zuvor an der Universität von Garissa im Osten Kenias an der Grenze zu Somalia zugetragen hatte.
Paolo Perego und Luca Fiore

148 Tote bei einem Terroranschlag der islamischen Fundamentalistengruppe Al-Shabaab. Sie sind ein Grüppchen junger Menschen des Clu von Nairobi, die verschiedenen Universitäten angehören. Sie sind zusammengekommen, um ihre Angst und das Gefühl ihrer Verlorenheit zu verarbeiten, doch auch die große Neuheit, der sie im Leben begegnet sind.

Das erzählen zwei von ihnen, Daisy und Eunice, Studentinnen der Ingenieurswissenschaften an der Jomo Kenyatta-Universität der Hauptstadt. Während des Essens haben sie ihre Überlegungen mit den anderen geteilt. „22 Jugendliche in Garissa, protestantische Christen, wurden getötet, während sie beteten. Sie hatten die Schüsse gehört, aber sie haben nicht aufgehört“, sagt Daisy: „Wir waren alle betroffen. Das hätten wir sein können.“ Das ist kein Fatalismus: „Hier ist das Leben an sich schon prekärer, nicht nur aufgrund des Terrorismus“, erklärt Don Gabriele, Missionar der Priesterbruderschaft des heiligen Karl Borromäus, der gemeinsam mit Simon Kingori die jungen Menschen begleitet.

Außerdem wächst jetzt die Angst vor Angriffen gegen Christen. Als ein Student mit einer Kapuze auf dem Kopf in die Bibliothek kam, sind die Studenten aus dem Fenster geflüchtet. In einer Universität ist ein Stromgenerator explodiert, und einige junge Menschen sind aus dem sechsten Stock gesprungen. „Es gehört zum Alltag. Das, was in Garissa geschehen ist, könnte mir passieren“, erklärt Daisy: „Als erste Reaktion denkt man vielleicht daran, wie man sich in Sicherheit bringen kann. Doch dann verstehst du, dass es darum nicht geht. Auf WhatsApp haben wir unter Freunden viel darüber diskutiert. Einer hat von Strategien gesprochen, wie man die Zahl der Toten im Falle eines Angriffs begrenzen könnte: ,Wir gehen ihnen alle entgegen und nur die, die vorne sind, sterben’, hat ein junger Muslim geschrieben. Ich habe geschrieben, was für mich gilt. Nämlich, dass ich mir mein Leben nicht selber gebe. Und dass es aus diesem Grund, weil jemand es mir in jedem Moment schenkt, kostbar ist. Es kann so vieles passieren, auch dass man bei einem Anschlag auf ein Einkaufszentrum oder eine Universität stirbt. Die Gefahr ist real. Doch aus diesem Grund lebe ich intensiver. Was auch bei diesem Mittagessen herausgekommen ist: Wir wollen bereit sein.“ Alle haben das Problem, zu leben: „Doch nicht alle denken an den Wert des Lebens an sich. Nur ein paar haben mir privat geschrieben, um mir zu danken.“



Sie haben alle Angst, das ist offensichtlich. Und doch sind Daisys Worte weder zornig noch nachtragend. Auch Eunices nicht: „Nach den Vorfällen in Paris hat eine Freundin uns an die Aufforderung des Papstes erinnert, für die Bekehrung der Terroristen zu beten. Heute wünsche ich mir, dass diese Terroristen dem begegnen mögen, dem ich begegnet bin. Doch wie ist es möglich, ihnen zu zeigen, dass Christus die Antwort ist? Nur durch das Leben.“ Ein Urteil, das auch bei jenem Essen zutage getreten ist, als der Artikel von Julián Carrón über Paris nochmals gelesen wurde, über die entwaffnende Schönheit, die die Gewalt besiegt. Du kannst dir Strategien überlegen oder den Koran auf Arabisch lernen, um dich zu retten, wenn sie dich auf die Probe stellen sollten… „Doch das interessiert mich nicht“, sagt Eunice: „Wenn ich an die Reihe kommen sollte, dann möchte ich ganz und gar als Christin vor Gott treten. Treu zu meiner Erfahrung. Und ich bitte darum, dass Christus wirklich die Kraft hat, mich allem entgegentreten zu lassen. Mich zu bekehren. Wenn es für mich nicht wahr ist, was kann ich dann mitteilen? Ich glaube nicht, dass es meine Aufgabe ist, ständig ,Christus’ zu schreien und allen Predigten zu halten… Meine Aufgabe ist, jeden Tag mein Leben aufrichtig zu leben, froh über die Tatsache, dass Christus bei mir ist. Niemand kann einem anderen Menschen etwas geben, wenn er nichts hat.“


PAKISTAN
Gill, der Anwalt der Christen

Im Februar haben ihn drei bewaffnete Männer angehalten: „Entweder hörst du auf, oder das wird Folgen haben…“. Im November war er einem Anschlag entkommen. Monate vorher war sein Haus überfallen und sein Bruder durch einen Pistolenschuss verletzt worden. Jetzt hat er beschlossen, mit seiner Familie von Bhai Pehru in das nahegelegene Lahore umzuziehen und die Behörden offiziell um Schutz zu bitten. Sardar Mushtag Mesih Gill, 34 Jahre alt, ist Vorsitzender der Anwaltsgruppe „Legal evangelical association development“ (Lead) und einer der Männer, der in Rechtsstreitigkeiten von Christen, die wegen Blasphemie angeklagt sind, am meisten exponiert ist. „Bislang hatte ich vier Fälle von Blasphemie und mit Gottes Hilfe ist es mir jedes Mal gelungen, eine Freilassung unter Kaution zu erwirken. Weitere drei Male, konnte ich eine Festnahme verhindern“. Gill bezeichnet sich als „Aktivisten“, und so übernimmt er die schwierigsten Fälle: „Für viele meiner Kollegen ist das Honorar es nicht wert, ihr Leben aufs Spiel zu setzen.“

„In Artikel 19 unserer Verfassung heißt es, dass alle Bürger ihre Meinung frei äußern dürfen. Doch es handelt sich um ein Recht, das ,vernünftigen Einschränkungen’ unterliegt, ,die vom Gesetz für die Verherrlichung des Islam auferlegt werden’.“

Seine Berufung reicht weit zurück, bis in die Grundschule, als er feststellen musste, ein Bürger zweiter Klasse zu sein: „Es gab eine Entnahmestelle für frisches Wasser und man sagte uns, sie sei nur für Muslime. Als ein christlicher Schulkamerad davon getrunken hatte, rief der Lehrer uns zusammen, um uns zu sagen: ,Ich respektiere euch alle, und für mich seid ihr alle gleich. Aber einige eurer Schulkameraden kommen aus Familien, die das anders sehen’.“

Er hatte bereits ein Diplom als Elektroingenieur, als er drei Bewerbungsabsagen aufgrund seines christlichen Namens erhielt: „Mesih“ bedeutet „Christ“ in Urdu. Er studierte weiter, um Anwalt zu werden. „In Artikel 19 unserer Verfassung heißt es, dass alle Bürger ihre Meinung frei äußern dürfen. Doch es handelt sich um ein Recht, das ,vernünftigen Einschränkungen’ unterliegt, ,die vom Gesetz für die Verherrlichung des Islam auferlegt werden’.“

Er war bei der Beerdigung der vierzehn Opfer des Anschlags vom 15. März auf zwei Kirchen in Lahore. Seinen Aussagen zufolge hatte die Polizei gleich nach den Bomben zwei verdächtige Attentäter festgenommen und sie in einen Mannschaftswagen eingeschlossen. Doch die Menge hat das Fahrzeug angegriffen, die beiden Muslime zu Tode geprügelt und die Leichen verbrannt. „Im Parlament hieß es, die Reaktion der Christen sei ein schwerwiegenderer Akt von Terrorismus gewesen als der Akt, der dies hervorgerufen hatte. Das ist Wahnsinn. Wenn die Verantwortlichen Christen sind, dann ist das furchtbar, aber es handelt sich um Vergeltung, nicht um Terrorismus. Dafür muss man ihnen den Prozess machen, nicht für etwas anderes.“ Gill rechtfertigt nichts: „Ich schäme mich für das, was passiert ist, denn wir Christen müssen für den Frieden stehen, nicht für Gewalt. Wir stehen für die Liebe. Nur Jesus vermochte, die anderen zu lieben und wir versuchen daher, Ihm zu folgen. Es ist der Glaube, der mir Vertrauen und den Mut gibt, weiter in meinem Land zu bleiben. Jesus selbst hat uns gewarnt: Man wird uns aufgrund Seines Namens und unseres Glaubens an Ihn hassen.“

Gill ist Protestant, doch als er die Worte gelesen hat, die der Papst an Ostern gesagt hat, fühlte er sich gestärkt: „Es ist schön zu sehen, dass er auf unserer Seite steht: Es gibt uns das Gefühl, dass es jemanden gibt, der sich für uns interessiert. Und das macht uns Mut.“